Kein Klamauk
Tom Strohschneider über das Gebaren von Union und SPD im umstrittenen Hauptausschuss des Bundestags
Vielleicht hat Hubertus Heil den Koalitionsvertrag noch nicht gelesen. Vielleicht sind Sozialdemokraten und Unionsvertreter bei der Lektüre bisher auch bloß nicht bis zur Seite 184 vorgedrungen. »Eine starke Demokratie braucht die Opposition im Parlament. CDU, CSU und SPD werden die Minderheitenrechte im Bundestag schützen«, haben die Regierungspartner in spe dort aufgeschrieben. Vielleicht ist es Heil und anderen in Wahrheit jedoch einfach nur egal. Und das ist ein Problem, das über parteipolitische Konkurrenzfolklore weit hinausreicht.
Am Mittwoch ist die Linkspartei unter Protest aus dem umstrittenen Hauptausschuss ausgezogen, weil dort eine Mehrheit sozusagen im Vorschuss auf ihre Übermacht - noch ist die Regierung nicht gebildet - sich der abschließenden Behandlung von Gesetzentwürfen verweigerte. Sozialdemokrat Heil hat die symbolische Aktion als »Klamauk« abgetan, als lärmenden Unsinn also. Doch das ist es keineswegs. Und es geht auch nicht nur um die Anträge der Linkspartei.
Ein Beispiel: Die Grünen wollten Auskunft zum gegenwärtigen Stand der Aufklärung der Geheimdienstaffären um NSA und die deutsche Beteiligung an der massenhaften Ausspähung. Die Grünen haben auch beantragt, den Bundesdatenschutzbeauftragten in den Hauptausschuss einzuladen. Die Große Koalition blockte das ab - was der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz mit den fast schon resignierenden Worten kommentierte: Es bleibe nun nichts anderes übrig, »als die Beschlussfassung der vorliegenden Anträge zu vertagen, bis die regulären Bundestagsausschüsse eingesetzt sind und die Vorlage im Innenausschuss ordnungsgemäß behandelt werden kann«.
Und nein, hier geht es nicht um »parlamentarische Spielchen«, wie die SPD der Linkspartei vorhält, die im Hauptausschuss Gesetzentwürfe zur Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes, zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung abschließend beraten wollte - Themen, bei der die Sozialdemokraten in die für sie schmerzhafte Lücke zwischen Wahlforderung und Regierungsprogramm fallen könnten.
Doch das ist das Problem der SPD. Das Gebaren derer, die sich schon für eine unantastbare Regierung halten, ist ein Problem aller. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Da wird, weil der Protest immer lauter wurde, ein verfassungsmäßig nicht vorgesehenes Gremium im Parlament eingesetzt, damit der Anschein gewahrt bleibt, der Bundestag würde sich auch mit Anträgen und Initiativen der Opposition befassen - und dann werden in eben diesem Hauptausschuss wesentliche Fragen quasi in die noch gar nicht existierenden Ausschüsse weiterverwiesen, die zu ersetzen der Hauptausschuss ja angeblich da sein soll.
Oder anders gesprochen: Wovor seit Wochen gewarnt wird, zeigt sich im Bundestags nun auch in der Praxis. Die noch nicht einmal unter Dach und Fach gebrachte Große Koalition verhält sich wie ein machtpolitischer Elefant im demokratischen Porzellanladen.
Vielleicht sollten wenigstens Hubertus Heil und die Sozialdemokraten wenn schon nicht die Regierungsvereinbarung mit der Union so doch wenigstens noch einmal im Grundsatzprogramm der SPD nachlesen. Dort steht, die Parteien seien »unentbehrliche Mittler zwischen Bürgergesellschaft und Staat«, die Demokratie brauche »starke, lebendige, entscheidungsfähige Parteien und ebenso starke Parlamente«, die das Herz der »demokratischer Willensbildung« sind. Wenn SPD und Union wie nun im Hauptausschuss weitermachen, droht der Res publica nichts Geringeres als ein Infarkt.
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