Drohanrufe bei Jusos eine Satireaktion?

Bekennerschreiben von »Kommando Gerhard Schröder« aufgetaucht / Unbekannter gab sich als Mitarbeiter von Nahles aus / SPD-Generalsekretärin: Ein »krimineller Akt«

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Vor der Abstimmung über den Koalitionsvertrag mit der Union haben mehrere kritische SPD-Mitglieder offenbar Drohanrufe von einem Unbekannten erhalten, der sich als Mitarbeiter von Generalsekretärin Andrea Nahles ausgab.

Inzwischen ist im Internet eine Erklärung aufgetaucht, derzufolge sich ein »Kommando Gerhard Schröder« zu Anrufen bei mehr als 100 SPD-Mitgliedern und Funktionären bekennt. In dem Schreiben erklärt »eine sozialdemokratische Splittergruppe in der Hedonistischen Internationale«, man habe »ausschließlich Aussagen und Argumente verwendet, mit denen ranghohe Mitglieder der Partei und ihres Vorstandes in den letzten Wochen in den Medien zitiert wurden«. Beim Mitgliedervotum dürfe »nichts anbrennen«, erklärt die Gruppe im Internet in offenbar politisch-satirischer Absicht. »Deshalb haben wir das Vorgehen des Vorstandes konsequent zu Ende gedacht. Das ist lupenreine SPD-Demokratie.« Man wolle die Aktion »Mehr Telefonie wagen!« jetzt bundesweit fortsetzen.

Die Onlineausgabe der »Zeit« hatte am Mittwoch unter Berufung auf die SPD berichtet, ein Mann habe sich in das Telefonsystem der SPD-Zentrale in Berlin eingehackt. Demnach drohte er den Angerufenen mit ernsten Konsequenzen für die Karriere, sollten sie bei der Mitgliederbefragung gegen die große Koalition stimmen.

Einer der Betroffenen war laut »stern.de« der Vorsitzende der SPD Bruchsal, Fabian Verch, der sich vor einigen Tagen in der ZDF-Sendung »Maybrit Illner« gegen eine große Koalition ausgesprochen hatte. Der Anrufer habe sich als Mitarbeiter des Büros von Nahles vorgestellt und ihn aufgefordert, schleunigst öffentlich machen, dass er seine Meinung geändert habe und bei der Mitgliederbefragung für Schwarz-Rot stimme, sagte Verch »stern.de«. Der Mann habe ihm gesagt: »Du hast doch schließlich auch noch Ambitionen in der Partei.« Danach habe er angekündigt, er melde sich am nächsten Tag noch einmal. Als das nicht geschah, beschwerte sich Verch per Mail bei Nahles.

Der Hacker habe es technisch so aussehen lassen, als rufe er von der zentralen Nummer des Parteivorstands aus an, sagte SPD-Sprecher Tobias Dünow »Zeit Online«. Auf diese Weise musste der Anruf für die SPD-Mitglieder echt erscheinen. Bis zu neun Juso-Mitgliedern wurden demnach am Dienstag vermeintlich von dieser Nummer aus angerufen. Alle hatten sich in den vergangenen Wochen im Internet oder in den Medien gegen das Regierungsbündnis mit der Union ausgesprochen.

In der SPD-Zentrale wird es für unwahrscheinlich gehalten, dass sich der Anrufer in das Telefonsystem des Willy-Brandt-Hauses gehackt hat. Damit müsste die Nummer des Parteivorstandes, die bei den Anrufen zu sehen war, durch eine andere technische Manipulation auf dem Display erschienen sein.

Dem Bericht zufolge prüft der SPD-Vorstand rechtliche Schritte und behält sich eine Anzeige vor. Generalsekretärin Andrea Nahles habe in einer E-Mail an einen der Geschädigten, der sich empört an ihr Büro gewandt hatte, geschrieben, in der SPD gebe es »keinen Platz für Drohanrufe«. »Sei versichert: Bei diesem Anruf handelt es sich nach meiner Ansicht um einen kriminellen Akt und keinesfalls um eine offizielle Aktion des SPD-Parteivorstandes«, zitierte »Zeit Online« aus der Mail von Nahles. Agenturen/nd

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