Weiter Business as usual
Warum die als Erfolg gefeierte WTO-Konferenz kaum wirkliche Verbesserungen bringt
Es war nicht einmal ein Kompromiss. Zwar konnte Indien eine dauerhafte Ausnahmeregel für sein Anti-Hunger-Programm durchsetzen. Davon abgesehen war der von allen Seiten gefeierte Abschluss des ersten größeren Freihandelsabkommens im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) business as usual: Handelsvorteile für den Norden und wohlklingende Versprechen an den Süden.
Indien, allseits als Blockierer der 9. Ministerkonferenz der WTO im indonesischen Bali gebrandmarkt, war kein Vorkämpfer für die Interessen der armen Länder. Aus nationalen Gründen - bald stehen Wahlen an - beharrte es auf seinem Programm zur Ernährungssicherheit, das aufgrund des Kaufs und Verkaufs von Lebensmitteln zu staatlich festgelegten Preisen die WTO-Subventionsregeln verletzt. Das nach China bevölkerungsreichste Land darf nun weiter billige Grundnahrungsmittel vertreiben, bis sich die WTO - einstimmig - auf eine allgemeine Lösung der Frage einigt.
Die Ausnahme im sogenannten Bali-Paket gilt aber nur für die Inder: Anderen Entwicklungsländer bleibt es auch in Zukunft verboten, die engen Grenzen für Agrarsubventionen zu überschreiten. Zudem darf Indien sein Programm nicht einmal auf weitere Lebensmittel ausweiten, und muss sich strengen WTO-Kontrollen unterwerfen, um zu verhindern, dass subventionierter Reis auf Umwegen andere Märkte oder die Interessen großer Agrarexporteure beeinträchtigt.
Heinz Fuchs vom christlichen Hilfswerk »Brot für die Welt« hält die Logik der WTO für fragwürdig. »Zu mehr als 70 Prozent tragen Kleinbauern weltweit zur Ernährungssicherung bei. Ihre Förderung durch Aufkauf von Nahrungsmitteln zu festgelegten Preisen wird aber von der WTO als Wettbewerbsverzerrung verboten«, kritisiert Fuchs.
Auch in anderen Punkten gibt es aus Sicht des Südens keine guten Nachrichten. Die Schwellenländer-Gruppe G20 konnte sich zum Beispiel nicht mit ihrem Vorschlag durchsetzen, die Senkung der Exportsubventionen im Agrarbereich verbindlich festzuschreiben. Obwohl die EU derzeit keine solchen Subventionen mehr anwendet, kritisiert Tobias Reichert von der Nichtregierungsorganisation »Germanwatch«, dass »die Industrieländer sich weiterhin die Möglichkeit vorbehalten, Exportsubventionen für ihre Landwirtschaft jederzeit wieder einzuführen«.
Auch das Maßnahmenbündel, mit dem die Wirtschaften in den ärmsten Ländern (LDC) gestärkt werden sollen, ist mager. Zwar können die LDC-Staaten mit mehr Unterstützung und finanziellen Hilfen rechnen, doch ihr Umfang entspricht nicht dem Ausmaß der Armutsprobleme, kritisiert Alexis Passadakis von Attac-Deutschland. »Im Gegensatz zu anderen Passagen des Bali-Pakets ist das LDC-Abommen nicht verbindlich.« Es sei zu befürchten, dass vieles davon wie in der Vergangenheit nur schöne Absichtserklärungen bleiben, so Passadakis.
Der entscheidende Aspekt des Bali-Pakets ist, dass nun bürokratische Handelshemmnisse im grenzüberschreitenden Warenverkehr verbindlich abgebaut und vereinheitlicht werden. Exportorientierte Industrie- und Schwellenländer versprechen sich davon Einsparungen in Höhe von hunderten Milliarden Euro jährlich. Ein großer Erfolg für die reicheren Länder, der aber bestimmt einen Entwicklungsschub in den ärmeren Ländern auslösen wird. Damit bleibt die Frage aktuell, warum die 2001 eingeläutete Doha-Verhandlungsrunde, deren erstes konkretes Ergebnis das Bali-Paket ist, immer noch »Entwicklungsrunde« genannt wird.
Der brasilianische WTO-Chef Roberto Azevêdo betonte, dass der Bali-Konsens erst der Anfang sei. In den kommenden Jahren werde die Organisation alles dafür tun, die verbleibenden Themen der Doha-Runde in multilateralen Abkommen zu fixieren. Dabei geht es unter anderem um Zollsenkungen für Industrie- und Agrarprodukte sowie den Handel mit Dienstleistungen. Angesichts dieser Agenda sei das Bali-Paket nur ein kleiner Schritt hin zu multilateralem Freihandel, erklärte Tobias Reichert von Germanwatch. »Aus finanzieller Sicht umfassen die hier vereinbarten drei Teilaspekte weniger als fünf Prozent der Summen, die in der Doha-Runde zur Debatte stehen.«
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