Jusos wollen Zukunft anders gestalten
SPD-Jugendorganisation lehnte auf Bundeskongress den Koalitionsvertrag mit der Union ab
»GroKo - Oh No!«, stand auf einer von den Jusos aus Hessen-Süd verteilten Karte, vorne drauf schluckt ein großer schwarzer Fisch (CDU) gerade einen kleinen roten Fisch (SPD). Eines war klar beim Bundeskongress der Jungsozialisten in Nürnberg: Die Große Koalition zwischen SPD und Union wird abgelehnt, dafür steht auch die Person der neuen Bundesvorsitzenden Johanna Uekermann, die mit rund 70 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Auch der Auftritt des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel konnte an dem Mehrheitsvotum der 300 Delegierten nichts ändern.
Für ihren diesjährigen Bundeskongress am vergangenen Wochenende hatten sich die Jusos das Gebäude des ehemaligen Otto-Versandes in Nürnberg ausgesucht. Zwischen leer stehenden Hallen versammelten sich die Delegierten in der dritten Etage, was dem Kongress eine eigene, provisorische Atmosphäre gab. In einer Ecke des Saales war eine Pinwand aufgebaut und darauf fanden sich ausgefüllte Stimmkarten zum derzeitigen Thema Nummer eins der SPD: das Mitgliedervotum für oder gegen die Große Koalition (GroKo). Auf der Pinwand überwiegen die Groko-Gegner: Ich stimme mit Nein, weil »man Europa und den Euro völlig im Stich lässt«, war da zu lesen. Und: Willy Brandt würde sich im Grabe umdrehen, weil »die Opposition im Bundestag keine Rechte hat«. Es gibt auch Befürworter: »Ich stimme mit Ja, weil der Koalitionsvertrag das Leben vieler Menschen verbessert.«
Das ist die Position von Vinzent Baily. Der 23-jährige Lehramtsstudent war Delegierter des Juso-Verbandes Südhessen und gehört der Minderheit an, die die Groko für gut befindet. »Beim Koalitionsvertrag ist wesentlich mehr herausgekommen, als ich mir gedacht habe«, meinte er, und: »Wenn wir den Menschen helfen können, sollten wir es tun.«
Anderer Meinung ist Fabian Bremer aus Münster in Nordrhein-Westfalen. Der 24-jährige VWL-Student findet den ausgehandelten Koalitionsvertrag »in fast allen Punkten nicht zufriedenstellend« und kritisiert zum Beispiel das Spardiktat in der Europapolitik. »Wir wollen einen Kurswechsel«, sagte er und hatte am Freitag auch für Johanna Uekermann als Bundesvorsitzende gestimmt.
Die neue Juso-Chefin ist 26 Jahre alt, kommt aus dem niederbayerischen Straubing, hat ihr Studium der Politikwissenschaft abgeschlossen und gilt als links. Sie kritisierte, der SPD mangele es an einer glaubwürdigen Machtperspektive. Ueckermann plädierte für einen Dialog mit der Linkspartei, um vorhandene Differenzen anzugehen. Die Jusos müssten in den kommenden beiden Jahren die treibende Kraft sein, um eine Neuausrichtung der SPD hinsichtlich eines rot-rot-grünen Bündnisses voranzutreiben.
Zum Koalitionsvertrag betonte sie, die SPD habe gut verhandelt und ein Nein zum Vertrag sei kein Nein zur Parteispitze. Aber das Ergebnis des Koalitionsvertrages sei ganz und gar nicht überzeugend: »Wir haben immer gesagt, wir stehen für einen Politikwechsel, und das ist leider nicht eingetreten.« Zu viele wichtige Punkte hinsichtlich einer gerechten Gesellschaft würden in dem Papier fehlen, dazu gehörten unter anderem die Themen Steuererhöhungen und die Reform des BAföG. Nicht tragbar sei die Abschiebungspolitik gegenüber Flüchtlingen. Deshalb lehne sie den Koalitionsvertrag ab und werbe für andere Optionen wie eben Rot-Rot-Grün.
Es war 13 Uhr, als SPD-Chef Sigmar Gabriel eintraf. Applaus. Und viele fordernde Plakate. Wichtiger als die große Koalition sei ein solidarisches Europa oder die Verteilungsgerechtigkeit, war zu lesen. In seiner Rede bezeichnete Gabriel die laufende Mitgliederbefragung schon deshalb als Erfolg, weil sich die SPD als modernste Partei zeige und damit eine Politisierung der SPD einher gehe wie schon lange nicht mehr. Gabriel warnte aber davor, nach dem Ergebnis die Mitglieder in gute und schlechte Sozialdemokraten einzuteilen. Die Koalition sei keine Liebesheirat, sondern eine »Koalition der Vernunft«. Für sie führte er ins Feld, dass damit die Lebensbedingungen der Menschen, etwa in Sachen Mindestlohn, sofort verbessert würden, auch die Gewerkschaften stünden dabei an SPD-Seite.
Den Ablehnern warf Gabriel einen »allgemeinen Gerechtigkeitsbegriff« statt konkreter Maßnahmen vor. An die Jusos gewandt konstatierte er eine »massive kulturelle Kluft«, gar eine »Verachtung der Kernwählerschaft« in der SPD und stimmte das Hohelied von der Floristin mit fünf Euro Stundenlohn an, der jetzt sofort mit dem Mindestlohn zu helfen sei. Davon, dass die SPD mit ihrer Agenda 2010 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und mit Hartz IV den Niedriglohnsektor erst wachsen ließ, sagte Gabriel nichts. Stattdessen lehnte er ein Bündnis mit der Linkspartei ab, die sei »nicht berechenbar«.
Schließlich akzeptierten die Delegierten des Juso-Bundeskongresses mit Mehrheit den von sieben Landesverbänden eingebrachten Initiativantrag »Zukunft gestalten geht anders« und lehnten damit den Koalitionsvertrag ab. Der Antrag kritisiert das Fehlen wichtiger Politikbereich wie eine gerechte Steuerpolitik, um die ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung zu korrigieren. Gefordert wird eine andere Europapolitik, die bisherige Krisenpolitik habe nicht zur Überwindung der Krise beigetragen, sondern im Gegenteil zu verheerenden Auswirkungen für die betroffenen Länder geführt.
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