Weihnachtsmänner vom Verfassungsschutz

Geheimdienst spitzelte zahlreiche Personen der linken Szene Potsdams aus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Verfassungsschutz hat Namen und Anschriften von zahlreichen Personen der linken Szene Potsdams gespeichert und auch Fotos von ihnen gesammelt. Das stellte sich jetzt bei Anfragen heraus.

Wer heute in Brandenburg eine Weihnachtsfeier besucht, sollte vielleicht einmal die Maske des Weihnachtsmannes lüften. Möglicherweise steckt ja ein verkleideter Beamter des Verfassungsschutzes darunter. Ein absurde Vorstellung? Eine lächerliche Idee? Zweifellos, aber leider keine völlig abwegige Fantasie.

Wie jetzt herauskam, hat der märkische Verfassungsschutz tatsächlich mindestens eine Weihnachtsfeier ausgespäht. Bei dieser Feier am 24. Dezember 2011 trat allerdings kein verkleideter Weihnachtsmann auf, so dass die Frage entfällt, ob es sich dabei um einen hauptamtlichen Geheimdienstler oder um einen V-Mann gehandelt hat. Irgendwoher jedoch muss der Verfassungsschutz seine Erkenntnisse haben. An einen nachlesbaren Veranstaltungsbericht in einer Zeitung, in einem Szenemagazin oder im Internet erinnern sich die damaligen Gäste nicht. Der Geheimdienst müsste Informationen also über dunkle Kanäle besorgt haben.
Bekannt geworden ist dies durch mehrere Auskunftsersuchen. »Anfang April hatten einige meiner Freunde die Idee, in Erfahrung zu bringen, was die verschiedenen Strafverfolgungsbehörden dieser Welt über sie gespeichert haben«, berichtet ein Student aus Potsdam, wie es dazu kam. Er habe sich spontan an der Anfragenstellerei beteiligt. »Ich selbst habe keine Vorstrafen und stand auch noch nie als Angeklagter vor Gericht«, sagt der 24-jährige Student. Es habe ihn deshalb nicht gewundert, dass zunächst Polizei und Geheimdienste durchgängig antworteten, keine Informationen über ihn zu haben. »Doch Anfang August kam die große Überraschung. Von der nahen Postfiliale sollte ich ein Einschreiben abholen. Nachdem ich es überflogen hatte, musste ich mich erst einmal setzen.«

Der brandenburgische Verfassungsschutz (VS) teilte dem 24-Jährigen mit, dass von ihm Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Anschrift gespeichert seien. Außerdem liege ein Lichtbild vor und die Telefonnummer. Doch damit nicht genug. Zu den Erkenntnissen des Geheimdienstes gehört auch: »1. Sie waren am 19. Juni 2010 Besucher und Mitwirkender der vom Antikapitalistischen Bündnis Potsdam organisierten VS-Party im studentischen Kulturzentrum Potsdam. Sie zitierten aus früheren Berichten. 2. Am 28. Mai 2011 waren Sie unter den Besuchern einer Spendengala im Freiland Potsdam. 3. Sie besuchten am 24. Dezember 2011 die Weihnachtsparty im Szeneobjekt ›Black Fleck‹ in Potsdam, welches häufig von Linksextremisten besucht wird.«

Weiter hieß es noch, angeblich sei es erforderlich, »die vorstehend aufgeführten Erkenntnisse zu speichern, weil tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, vorlagen und weiterhin vorliegen«. Nähere Auskünfte lehnte der VS mit der Begründung ab, daraus ließe sich schließen, auf welche Weise der Geheimdienst seine Kenntnisse erlangt habe. Der Betroffene ist also auf Spekulationen angewiesen. Er fragt sich, was zu seiner Überwachung führte, ob sie anhält und was protokolliert und abgeheftet wird – auch Gespräche mit Freunden und Bekannten? Wird sein Telefon abgehört? Wird er observiert? »Es bleibt die Unsicherheit«, sagt er.

Der 24-Jährige hat das Schreiben des VS und seine Gedanken dazu ins Internet gestellt. »Solche Beobachtungen bleiben nie folgenlos«, weiß er. In der Vergangenheit habe es Berufsverbote gegeben und Vereinen seien Fördermittel nicht mehr gewährt worden, weil sie in Verfassungsschutzberichten auftauchten. Erinnert sei hier an das linksalternative Jugendwohnprojekt »Mittendrin« in Neuruppin, das erst juristisch gegen seine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht einschreiten musste, bevor das Innenministerium einlenkte.

»Im schlimmsten Fall führt so eine Überwachung zum Rückzug aus politischen Debatten«, erklärt der Student. Auch er habe einen solchen Schritt in Erwägung gezogen, ihn dann aber für sinnlos und falsch gehalten. Der Fall des 24-Jährigen ist offensichtlich kein Einzelfall. Vielmehr sind nach Informationen des »nd« zahlreiche Personen der linken Szene Potsdams betroffen – einer Szene, die durchaus überschaubar ist und also offenbar umfänglich überwacht wird. Dass nur drei Veranstaltungen in den Akten festgehalten sind, scheint dabei die Ausnahme zu sein. Andere haben seitenlange Listen zugeschickt bekommen.

Solche Listen zeugen von Kontrollwahn und von Humorlosigkeit. Nehmen wir die Spendengala. Sie war Höhepunkt einer Spendenkampagne des Demokratischen Jugendforums. Für die Kampagne wurde die Kunstfigur Gisela Müller erdacht. Die Legende: Diese Rentnerin gehört der CDU an. Ihr Enkel engagiert sich im linksalternativen Projekthaus. Von der CDU kommt der Vorwurf, aus dem Projekthaus heraus sei zu gewalttätigen Protesten beim Weltklimagipfel in Kopenhagen aufgerufen worden. Das Bundesfamilienministerium sperrt zeitweise Fördergelder. Oma Müller sieht darin einen populistischen Angriff auf das Engagement ihres Enkels und bittet um Spenden für das Projekthaus und andere Vereine und Initiativen. Sie tritt aus der CDU aus. Es handelte sich um einen harmlosen Spaß. Eine Gefährdung der Demokratie ist nicht erkennbar. Auch nicht bei der VS-Party des Antikapitalistischen Bündnisses. Der heute 24-jährige Student wurde damals gebeten, lustige und abstruse Stellen aus alten Verfassungsschutzberichten vorzulesen, was er auch getan hat. Ein Geheimdienstler brachte Kugelschreiber und Informationsmaterial vorbei, soll aber bereits vor Veranstaltungsbeginn wieder gegangen sein. Das Geschenk zeugte von einem souveränen Umgang mit Kritik und beeindruckte die Veranstalter seinerzeit. Sie fragen sich jetzt, warum der Abend dennoch ausgespäht wurde.

Die Zahl der Linksextremisten in Brandenburg wird vom Verfassungsschutz auf 530 geschätzt, die der Autonomen auf 225. Laut Innenministerium darf der VS Daten speichern, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Gruppe zielgerichtet gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung handelt. Aus dem Anhaltspunkt ergebe sich nicht zwingend, »dass die gespeicherte Person ein Extremist ist«, erläutert Sprecher Ingo Decker. Sollte jemand fünf Jahre lang nicht mehr aufgefallen sein, werden seine Daten »im Regelfall gelöscht«. Geprüft wird das aber durch den VS selbst, und der VS-Chef darf erlauben, Daten auch länger als zehn Jahre aufzubewahren.

Besuche von Extremisten machen die Spendengala nicht zu einer extremistischen Veranstaltung, gestand Decker zu. Wenn der Besuch bei jemandem vermerkt sei, dann weil zu ihm eine andere Speicherung vorliege, »aus der sich ein tatsächlicher Anhaltspunkt für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ergibt«.

Die Gefährlichkeit von Linksautonomen versucht das Innenministerium mit Allgemeinplätzen über ihren Traum von herrschaftsfreien Räumen und mit Ausschreitungen in Hamburg zu belegen. Was die Ausgespähten in Potsdam damit zu tun haben, verrät das Ministerium unter Hinweis auf den Quellenschutz nicht. Es rückt auch nicht heraus mit der Zahl der Personen, zu denen der VS Daten gesammelt hat. Dergleichen Informationen erhält nur die Parlamentarische Kontrollkommission.

Die Linksfraktion im Landtag erlangte inzwischen auch Kenntnis von der fragwürdigen Datensammlung des Verfassungsschutzes. Die Fraktion ist an der Sache dran.

vsgeschichten.tumblr.com

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