»Wir können uns selber helfen«

Kein Vertrauen, kein Dialog: Fankongress in Berlin zeigt große Distanz zwischen Fans und Polizei

Die Themensetzung beim Fankongress in Berlin war vielfältig. Eine Annäherung zwischen Anhängern und Sicherheitsbehörden konnte er nicht aufzeigen, positive Wege für Fußballfans schon.

Gespenstische Stille, fassungslose Blicke. Nach dem ersten Schock wurden Hunderte Mobiltelefone gezückt. Was war passiert in Köln? Jeder im prall gefüllten Saal des Berliner Kinos Kosmos wollte es wissen. Die Nachricht eines lebensgefährlich verletzten Fußballfans am Rande des Testspiels des 1. FC Köln gegen Schalke 04 traf den Fankongress am Sonnabend auf der abschließenden Podiumsdiskussion des ersten Tages mit voller Wucht.

Die Ernüchterung war am Sonntag nicht gewichen, etwas mehr Klarheit über die Vorfälle am Vortag am Kölner Rudolfplatz halfen aber, das Geschehene einzuordnen. Die beste Nachricht: Der 40-jährige Schalke-Fan hat überlebt. Seine schweren Kopfverletzungen waren wohl die Folge einer verabredeten Auseinandersetzung zwischen Ultragruppen aus Köln und Dortmund sowie aus Gelsenkirchen auf der anderen Seite. Wobei sich die jeweiligen Gruppen scheinbar schon seit längerer Zeit selbst als Hooligans verstehen. Auf derlei Differenzierungen hinzuweisen, ist bei der komplexen Fanszene in Deutschland elementar. Denn diese Gruppen suchen die Gewalt und definieren sich auch darüber.

Sehr wohltuend wirkten daher die Worte von Andreas Rettig am Sonntag auf dem Fankongress in Berlin über die Ereignisse in Köln. »Es muss klar sein, diese Leute erreichen wir nicht«, so der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), »und ausdrücklich sage ich wir.« Wenn es auch keine Überraschung war, bei der zweitägigen Veranstaltung in Berlin kristallisierte sich heraus: Das schwerwiegendste Problem der Fans ist das Verhältnis zur Polizei. Darüber wurde am emotionalsten diskutiert. Beklagt wurden immer härtere Repressionen, eine Zunahme der Polizeigewalt oder die Kriminalisierung der Fußballfans durch fehlende Differenzierung. Damit einher ging eine Medienkritik. Eine aktuelle Studie der DFL besagt, dass sich 96 Prozent der Stadionbesucher sicher fühlen. Unter den Befragten, die nicht zum Fußball gehen, glauben nur 68 Prozent, dass ein Stadionbesuch sicher ist. Egal wen man auf dem Fankongress fragt, die Antwort ist immer dieselbe: Das stark verzerrte Bild der Fußballfans in der Öffentlichkeit entstehe durch Medien, die Pressemitteilungen der Polizei eins zu eins übernehmen. Schnelle Schlagzeilen über Randale, Krawalle und Gewalt verkaufen sich einfach besser und bestimmen den Medienalltag.

»Wie Fans den Fußball wollen« - unter diesem Motto stand der zweite Fankongress nach 2012, der diesmal von den beiden Fanorganisationen »ProFans« und »Unsere Kurve« gemeinsam organisiert wurde. Und es ging beispielsweise nicht um das Recht auf Pyrotechnik. Wie vielfältig stattdessen Engagement und Interessen der Fans sind, zeigte die Themensetzung des Kongresses. »Verrät der Fußball seine Werte?« Unter dieser Fragestellung wurde die Rolle von Werkklubs wie Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg im Rahmen des sportlich fairen Wettbewerbs diskutiert.

Oder Modelle wie in Hoffenheim und bei Red Bull in Leipzig. Ein anderer Workshop widmete sich dem Thema der Reservemannschaften von Bundesligisten, die in der dritten, vierten oder fünften Liga Traditionsvereine verdrängen. Über Möglichkeiten der Mitbestimmung im eigenen Verein stand die Arbeitsgruppe »Das Stadion ist unser Zuhause«. Während ein Vertreter der Fanszene von Hannover 96 resigniert berichtete, dass es »keinen Dialog« mit dem allein von Präsident Martin Kind bestimmten Klub gibt, präsentierte der 1. FC Köln ein hoffnungsvolles Modell. Unter »wissenschaftlicher Begleitung haben wir die AG Fankultur installiert«, erzählte Stephan Schell von der Ultragruppe »Wilde Horde Köln«. Unter Moderation der »Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene Soziale Arbeit« (KoFaS) wurde ein ständiger Austausch geschaffen. Jonas Gabler von der KoFaS, der diesen Prozess beim 1. FC Köln begleitet, attestiert: »Durch regelmäßigen Dialog lernten sich beide Parteien überhaupt erst einmal kennen und näherten sich an. Das Ergebnis ist, dass der Verein Faninteressen einbezieht.«

Beherrschend blieb aber das Verhältnis zwischen Fans und Polizei. Denn so, wie vor allem Auswärtsspiele ablaufen, stellt man sich den Fußball nicht vor. Jakob Falk von der Fanvereinigung »ProFans« und einer der Organisatoren des Kongresses sieht »keine Deeskalationsstrategie bei der Polizei«. Auf der Podiumsdiskussion zu diesem Thema wurden schon quälend oft das Wort Dialog benutzt und die existenzielle Notwendigkeit des Austauschs betont. Letztlich blieb aber das traurige Fazit: »In naher Zukunft ist es leider wohl ausgeschlossen, dass die aktive Fanszene und die Polizei an einem Tisch sitzen«, sagte Christian Bieberstein von der Fanvereinigung »Unsere Kurve«. Weder Bernd Heinen, Vorsitzender des Nationalen Ausschusses Sport und Sicherheit, noch Hans-Ulrich Hauck, Leiter der Polizeidirektion 2 in Berlin, konnten mit teilweise phrasenhaft signalisierter Dialogbereitschaft die von Fanseite beschriebene Praxis widerlegen.

»Wenn ich einen Fall von Polizeigewalt dokumentiere, werde ich sofort gezwungen, meine Handyaufnahmen zu löschen«, berichtet ein Fan von den »Sportfreunden Ronhof« im Auditorium. Auf dem Podium kein Widerspruch von den Polizeivertretern. »Was nützt die Dialogbereitschaft, wenn der NRW-Innenminister Ralf Jäger und die Gewerkschaft der Polizei den unberechtigten Einsatz mit über 80 Verletzten im August in Gelsenkirchen danach weiter öffentlich verteidigen?«, fragt ein Mitglied der Stuttgarter Ultragruppe »Commando Canstatt«. Die Polizeivertreter schweigen.

Ein paar wenige Beispiele zeigen, wie groß die Distanz zwischen Fans und Polizei ist. Vertrauen gibt es keins. Jakob Falk stellt enttäuscht fest: »Beim ersten Fankongress vor zwei Jahren war die Bereitschaft zum Dialog wesentlich größer.« Ein positives Fazit zieht er als Vertreter von »ProFans« und Kongressorganisator in anderer Hinsicht. Mit über 700 Teilnehmern aus über 80 Vereinen sei die Beteiligung »überwältigend«. 2012 waren rund 500 Fans dabei. Ein weiterer hoffnungsvoller Aspekt für Falk: »Wir können uns selber helfen.« Als Beispiele führt er die Workshops zur »rechtlichen Unterstützung von Fußballfans« und der »Medienarbeit« an. Und: »Der Kongress hat gezeigt, wie gut wir inzwischen organisiert sind«, sagt Falk. Die lange und intensive Vorbereitungszeit von einem halben Jahr hat sich gelohnt.

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