Gefährlicher Blick nach Europa
Auf dem Fankongress in Berlin verbreitet nicht nur NRW-Innenminister Ralf Jäger Angst. Während der europäische Fußball neidvoll nach Deutschland schaut, interessieren sich Polizei und Politik hier für härtere Re-striktionsstrukturen im Ausland.
Helmut Spahn fühlte sich am vergangenen Wochenende auf dem Fankongress in Berlin etwas unwohl: »Wenn über zwei Tage lang der Eindruck erweckt wird, dass alles schlecht ist, geht man auch mit einem schlechten Gefühl nach Hause.« Als Direktor des International Centre for Sport Security (ICSS) berät der 52-Jährige unter anderen die FIFA, die UEFA, nationale Fußballverbände und Vereine in Sicherheitsfragen. Eine eindeutig sichere Erkenntnis lieferte ihm seine bislang dreijährige Tätigkeit bei der ICSS. »Egal, wo ich hinkomme, jeder schaut nach Deutschland und sagt: ›So würde ich meinen Fußball gern organisieren‹«, erzählt er. »Wir haben die erfolgreichste Liga der Welt, den höchsten Zuschauerschnitt, die beste Stimmung in den Stadien und die wenigsten sicherheitsrelevanten Vorkommnisse«, fasst der Hesse zusammen.
Bis 2011 war Helmut Spahn Sicherheitsbeauftragter beim Deutschen Fußball-Bund. Sein Nachfolger beim DFB, Hendrik Große Lefert, war am Wochenende auch in Berlin, und schlug in die gleiche Kerbe: »Wir haben die fanfreundlichsten Strukturen.« Diese wurden nur über gemeinsame Gespräche erreicht. Und dazu ist zu sagen: Der Dialog entstand hauptsächlich durch das Engagement der Fans. Erfolge sind aber nun mal nicht dazu da, um sich auf ihnen auszuruhen. In einem Interessenkonflikt mehrerer Parteien schon gar nicht - Klubs, Verbände, Politik, Polizei und Fans streiten im Fußball um Mitsprache.
Daniela Wurbs ist Geschäftsführerin von Football Supporters Europe (FSE), ein Netzwerk mit über drei Millionen Fußballfans. FSE ist Hauptansprechpartner der UEFA. Auch Wurbs kann vom »Vorbild Deutschland« erzählen. Seit anderthalb Jahren hat die UEFA einen Fanbeauftragten nach hiesigem Vorbild als Lizenzauflage für Klubs verankert. In England gäbe es ernsthafte Überlegungen, wieder Stehplätze einzuführen. Gefährlich hingegen ist der Blick von Deutschland nach Europa. Wurbs berichtet, »dass Politik und Polizei ein sehr großes Interesse an Restriktionsstrukturen in England und den Niederlanden zeigen«.
Keine Frage, in anderen Ländern hat es die Fußballfans schon wesentlich härter getroffen. Stehplätze gibt es in englischen Stadien nicht mehr, Eintrittspreise sind hoch, die Stimmung ist schlecht. In den Niederlanden sind nur offizielle Anreisewege zu Auswärtspartien zugelassen. Das heißt: Ein Fan von Ajax Amsterdam, der in Arnheim wohnt und das Spiel von Ajax in Arnheim besuchen will, muss zuerst nach Amsterdam fahren, dort in den Fanbus steigen und dann wieder zurück nach Arnheim ins Stadion. Nach dem Spiel muss er wieder mit dem Bus nach Amsterdam fahren, erst von dort darf er dann zurück nach Hause nach Arnheim. 400 Kilometer statt zehn Minuten Fußweg - absurd aber wahr.
Trotz eines vergleichsweise hohen Standards an Mitgestaltung im Fußball sind die Sorgen der 700 Teilnehmer des Fankongresses aus über 80 Vereinen berechtigt. Nicht nur ob der auch nachweislich gestiegenen Polizeigewalt. NRW-Innenminister Ralf Jäger verband seine Teilnahmeabsage mit einer »Kampfansage«, so Sig Zelt von der Vereinigung »ProFans«. Der SPD-Politiker will beispielsweise die sehr umstrittene Praxis der Stadionverbote in »enger Zusammenarbeit mit der Justiz« noch verschärfen. Zelt stellt erschüttert die Frage nach der Gewaltenteilung.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.