Die Finanzkrise meldet sich zurück
Türkische und südafrikanische Zentralbank heben die Leitzinsen an, um den Währungskursverfall zu stoppen
Noch Anfang vergangener Woche war die Börsenparty in vollem Gange. Die wichtigsten Aktienindizes bewegten sich von Bestmarke zu Bestmarke. Doch damit ist es erst einmal vorbei, allein der DAX verlor binnen weniger Tage bis zu 500 Punkte. Ähnliches vollzog sich in den USA, Großbritannien und Japan. Die Rückkehr der Nervosität verwundert kaum, denn an den Ursachen für die seit der Finanzmarktkrise 2007 lahmende Weltkonjunktur hat sich nichts Wesentliches geändert. Die globalen Überkapazitäten wurden nicht beseitigt, die Risiken durch staatliche Rettungsschirme, die Übernahme fauler Kredite sowie die Flutung der Märkte mit billigem Notenbankgeld nur vernebelt.
Dabei steckt vor allem die US-Notenbank Fed in einem Dilemma: Einerseits muss sie die aus den Überkapazitäten resultierenden Deflationsgefahren bekämpfen, andererseits könnte sie bei weiterer Aufblähung ihrer Bilanz selbst in eine Vertrauenskrise geraten. Auf welch wackligen Füßen die Weltwirtschaft steht, zeigte sich, als Fed-Chef Ben Bernanke im Herbst 2013 eine leichte Rücknahme der Geldzuflüsse in Aussicht stellte: Aus Schwellenländern wurde Anlagekapital in großem Stil abgezogen. Verschärft wurde die Lage zu Jahresbeginn, als die Fed die Staatsanleihenkäufe tatsächlich von monatlich 85 auf 75 Milliarden Dollar drosselte.
Zuletzt geriet insbesondere der argentinische Peso derart unter Druck, dass die Zentralbank mit Dollarverkäufen gegenzusteuern versuchte. Aber in vielen anderen Schwellenländern von Brasilien über Südafrika und Russland bis nach Indonesien verlieren die Währungen an Wert, was die ohnehin hohen Inflationsraten steigen lässt und den Binnenkonsum schwächt. Die indische Notenbank reagierte am Dienstag mit einer leichten Leitzinserhöhung - dabei würde die schwache Konjunktur eigentlich eine Zinssenkung nahelegen.
Am stärksten vom Kapitalabfluss betroffen sind Volkswirtschaften, die besonders abhängig von Auslandsinvestitionen sind und hohe Handelsbilanzdefizite aufweisen. Die Türkei musste seit Mai 2013 Kapitalabflüsse von über vier Milliarden Dollar verkraften, was mit einer Abwertung der Lira um rund 20 Prozent einherging. Am Dienstagabend erhöhte die Notenbank nun in einem beispiellosen geldpolitischen Kraftakt den Leitzins von 4,50 auf 10,00 Prozent. Am Mittwoch senkte dann auch die südafrikanische Notenbank überraschend den Leitzins - und zwar um einen halben Prozentpunkt auf 5,5 Prozent. Die primäre Verantwortung der Bank sei es, die Inflationsrate unter Kontrolle zu behalten, sagte die Gouverneurin der Notenbank, Gill Marcus, in Johannesburg. Analysten hatten angesichts eines langsamen Wirtschaftswachstums einen gleichbleibenden Zins erwartet.
Die Maßnahmen hatten den gewünschten Effekt: Die Türkische Lira stieg zeitweise um 4,1 Prozent zum US-Dollar - der größte Kurssprung seit 2008. Auch andere Währungen werteten auf, und die wichtigsten Börsen drehten mal wieder ins Plus. Nur der Rubel setzte seine Talfahrt fort.
Dennoch: Diese kurzzeitige Reaktion kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nächste Krisenzuspitzung von den Schwellenländern ausgeht, deren ökonomische Erfolge im Grunde nie nachhaltig waren. Die Investitionen dort haben die weltweiten Produktionskapazitäten weiter erhöht, ohne dass die Nachfrage ausreichend von den zusätzlichen Arbeitsplätzen profitiert hätte. Die sich abkühlende chinesische Konjunktur lässt viele Anleger fürchten, dass die »Emerging Markets« insgesamt die in sie gesetzten Wachstumshoffnungen nicht erfüllen. So wurde Kapital in die als relativ sicher eingestuften Aktienmärkte in Europa und den USA transferiert. Allerdings bleibt das Wachstum hier auf überschaubarem Niveau, so dass die Börsenrallye vorläufig beendet sein dürfte. Und so blickten die Anleger am Mittwoch wieder besorgt nach Washington, wo die Fed am Abend (nach Redaktionsschluss) über ihren geldpolitischen Kurs beriet.
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