Tagelang nur Schnee und Eis
Heute beginnt der 31. Yukon Quest, das härteste Hundeschlittenrennen der Welt
Dieser metallische Ton hallte noch ewig in meinem Kopf nach«, wird sich Hans Gatt später erinnern. »Es hörte sich an, als ob die überspannte Saite einer Violine gesprungen sei. Ich konnte den Haarriss unter meinem Schlitten förmlich spüren.« Dann ging alles sehr schnell.
Knacken, Krachen, Eis bricht. Als Erstes versinkt der komplette Schlitten mitsamt Führer und Gepäck im Birkenfluss, danach gibt das Eis auch unter den angeschirrten Huskies nach. Irgendwann stoßen die Kufen endlich auf meterdickes Eis. Glück im Unglück. Das war einer dieser tückischen Overflows. Dünn überfrorenes Strömungswasser, versteckt unter Neuschnee. Vom Austro-Amerikaner Hans Gatt schaut nur noch der Kopf heraus. Viel Zeit bleibt dem Hundeschlittenführer nicht. Nach drei, vier Minuten stirbt selbst ein abgehärteter Musher bei einer Wassertemperatur um den Gefrierpunkt. Irgendwie kämpft sich der mehrfache Yukon Quest Champion aufs feste Eis zurück, zieht Hunde und Schlitten aus dem Loch. Jetzt hat Gatt ein weiteres ernsthaftes Problem: Die Quecksilbersäule zeigt bitterkalte 48 Grad unter Null, die Feuerzeuge sind unbrauchbar, seine Kleidung sofort stocksteif gefroren und er muss die Hunde schnellstmöglich von ihren vollgelaufenen Schuhen befreien. Der Rest ist kein Problem für die Huskies, ihr dichtes Fell schützt sie selbst bei so einem frostigen Bad. Friert jedoch das Wasser in ihren Schuhen fest, würden die Pfoten der Tiere irreparabel geschädigt werden. 14 Hunde á vier Schuhe haben ihren Preis.
Gatt zieht sich Erfrierungen dritten Grades an seinen Fingern zu, wird kurze Zeit später das Rennen quittieren müssen. Es hätte noch viel schlimmer kommen können, doch der Mittfünfziger scheint einen nordischen Schutzengel zu haben. Einer seiner stärksten Konkurrenten, der Deutsch-Kanadier Sebastian Schnülle kommt zur Unglücksstelle, macht sofort Feuer und versorgt den Österreicher mit trockener Kleidung. So eine Hilfe ist selbstverständlich in Alaska und im Yukon, auch wenn sie dem gebürtigen Wuppertaler in diesem Fall den Sieg kostete.
Jahr für Jahr spielen sich ähnlich dramatische Szenen ab beim »härtesten Hundeschlittenrennen der Welt«, wie der Yukon Quest auch genannt wird. Er führt über 1600 Kilometer zwischen Alaska in den USA und dem Yukon Territory in Kanada und stellt Musher und Huskies vor extreme Herausforderungen. Dieses Bis-an-die-Grenzen-gehen und mitunter noch ein Stück darüber hinaus, macht den Quest so einzigartig, zieht Musher wie Abenteuertouristen alljährlich in seinen Bann.
Die eingefleischten Fans haben es indes weit bequemer. Denn sie fahren in kleinen Konvois mit allradtauglichen SUVs zu den sogenannten Checkpoints. Die Feuerwache im amerikanischen Circle City, ganz in der Nähe des Birkenflusses, ist so einer. Dort wärmen sich die Gespannführer nach Tagen in subarktischer Wildnis endlich wieder auf, stärken sich mit deftigem Elchfleischeintopf und heißem Tee, finden ein paar kurze Stunden Schlaf. Natürlich erst, nachdem sie ihre Hunde mit Kraftfutter und Stroh versorgt haben. Denn die vierbeinigen Gesellen sind die eigentlichen Stars des Wettbewerbs. Renntierärzte haben sich provisorisch eingerichtet zwischen Löschgerät, Spitzhacken und Feuerschutzhelmen. Von hier aus funken Journalisten aktuelle Rennergebnisse in die Welt. Und dazwischen überall freiwillige Helfer und Aktivurlauber aus Nordamerika und Europa. Die Magie des Nordens vereint alle auf friedlichste Art und Weise, die Liebe zu den Huskies tut ihr Übriges.
Von weit her sind die Musher über den mächtigen Yukon Strom in die 92-Seelen-Gemeinde Circle City gekommen. In Whitehorse, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Yukon Territory, begannen sie ihr großes Abenteuer eine Woche zuvor. Die 25 Teams folgen der alten Post- und Handelsroute aus Zeiten des großen Goldrauschs um 1900, die die Schürfgebiete des legendären Klondike im Zentralyukon via Alaska mit der Außenwelt verbanden. Fast alles lief damals über die »Schnellstraße des Goldrauschs«, den Yukon River, im Sommer per Schiff, im Herbst und Frühling per Pferdeschlitten und im eisigen Winter mit dem Hundegespann.
Von Whitehorse führt die erste Etappe über 100 Meilen oder 161 Kilometer zum ersten Checkpoint nach Braeburn über den großen Strom und den Trans Canada Trail. Hier schon sortiert sich das Feld. Vorn die Aspiranten auf den begehrten Titel, hinten diejenigen mit dem eher olympischen Gedanken, bei denen nur die Teilnahme zählt. »Wenn du vorne läufst, bist du der Hase, den die Meute hetzt«, weiß der Quest-Gewinner von 2012, Raubein Hugh Neff zu berichten. »Ich bin der Hase.«
Durch Eis und Nacht jagen die Gespanne Dawson City entgegen, kämpfen gegen Berge, Kälte, Einsamkeit und totale Erschöpfung an. Irrungen und Wirrungen sind an der Tagesordnung. Manche Musher kommen vom Weg ab und verlieren sich im Nirgendwo. Einige schlafen selbst im Stehen auf ihren Schlitten in klirrend kalter Nacht. Die flackernden Polarlichter sind ihre Begleiter. »Manchmal sehe ich Geister über den Bergen tanzen, weiß nicht so recht, ob ich grad träume oder noch wach bin«, schildert der Biologe und amtierende Champion Allen Moore seine selbstgewählte Odyssee.
In Dawson City ist Halbzeit und die Rennteilnehmer müssen eine 36-stündige Pause einlegen. Zeit der Regeneration für Mensch und Tier. Zeit für die Veterinäre, die Amerikanischen und Sibirischen Huskies genauer unter die Lupe zu nehmen und kleine Blessuren zu behandeln. Zeit, seine Liebsten in den Arm zu nehmen oder für ein Plausch mit den Fans in den Saloons der alten Goldgräberstadt. Mit seinem Roman »Ruf der Wildnis« verschaffte ihr Jack London einen festen Platz in der Weltliteratur. Und noch heute scheint man einen Hauch vom längst verflogenen Geist des Goldrauschs spüren zu können. Dabei ist heutzutage nur zweimal im Jahr richtig was los in der 1700-Seelen-Gemeinde, die einst von 100 000 Goldgräbern unsicher gemacht wurde: Im Februar zum Yukon Quest und im November zur Fulda Challenge, wenn der gleichnamige deutsche Autoreifenhersteller seinen subarktischen Zehnkampf mit allerlei Prominenz aus Sport und Showbiz medienwirksam in Szene setzt.
Nur gut die Hälfte der Gespanne wird es allerdings am Ende über die kanadisch-amerikanische Staatsgrenze und von dort über Circle City bis nach Fairbanks schaffen. Kurz vor Toresschluss hat der Eagle Summit in den Weißen Bergen schon so manchen Traum vom nahen Sieg platzen lassen. Zumindest bei jedem zweiten Quest, denn Start und Ziel des Rennens alterniert von Jahr zu Jahr. Hier scheiterte selbst Haudegen Hugh Neff, als über der vegetationslosen Kuppe ein Eissturm fegte und die gefühlte Temperatur auf unerträgliche minus 80 Grad fiel. Manchmal sind es eben nicht die gehetzten Hasen, die das Rennen machen, sondern die alten. Mit 55 Jahren konnte der sympathische Allen Moore den Wettkampf 2013 für sich entscheiden.
Hans Gatt will es in diesem Jahr ruhiger angehen und hat sich lediglich für das etwas leichtere Iditarod Rennen gemeldet. Sebastian Schnülle bleibt seinem Quest treu, auch wenn er im Februar nur die verkürzte Variante über 300 Meilen fahren will. Hugh Neff und Allen Moore hingegen werden schon jetzt als Favoriten für das heute wieder beginnende härteste Rennen der Welt gehandelt. Für sie steht fest: 1000 Meilen. Keine Kompromisse.
Infos
Yukon Quest: www.yukonquest.info
Das Yukon Quest International Sled Dog Race gilt als das schwerste und härteste Hundeschlittenrennen der Welt. Der diesjährige 31. Wettbewerb beginnt am 1. Februar in Fairbanks/Alaska und dauert ca. zwei Wochen. Start und Ziel alterniert jährlich. Die schnellsten Hundeschlittenführer, schaffen die 1600 Kilometer zwischen Fairbanks/Alaska und Whitehorse/Yukon in nur zehn Tagen.
Einige Spezial-Veranstalter schnüren individuelle Pakete zusammen, z. B. Pioneer Tours (www.pioneertours.de) oder die SIR North Country Ranch von Rolf und Ingrid Schmitt in Whitehorse (http://yukonpferde.com/). Der mehrfache Yukon Quest Gewinner Sebastian Schnülle bietet verschiedene Hundeschlittentouren an unter www.bluekennels.de.
Literatur:
»Kanada Westen mit Alaska«, Reise Know-How Verlag, Bielefeld, 2012, 25 €, www.reise-know-how.de;Thomas Gurt: Mushing oder »Hundeschlittenfahren, Ratgeber Praxis«, Reise Know-How Verlag, Bielefeld, 2011, 8,90 €,
Allgemeine Infos:
www.explorefairbanks.de (Alaska)
www.travelyukon.de (Yukon)
www.keepexploring.de (Kanada)
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