Erhöhte Strahlenwerte in Sellafield

Betreiber der Nuklearanlage lässt vorsorglich Mitarbeiter zuhause

  • Meike Stolp, London
  • Lesedauer: 2 Min.
In der britischen Wiederaufbereitungsanlage von Sellafield ist ungewöhnlich hohe Radioaktivität gemessen worden.

Für 10 000 Mitarbeiter des Atomkomplexes Sellafield in Nordwestengland hieß es am Freitag, zu Hause zu bleiben. Der Grund für diese außergewöhnliche Maßnahme: Es seien im Norden der weitläufigen Anlage überhöhte Radioaktivitätswerte gemessen worden, teilte die Betreiberfirma Sellafield Ltd. mit. Es handele sich dabei aber nicht um ein Leck, sondern um natürliche Hintergrundstrahlung durch Radon. Grund zur Sorge gebe es daher nicht. »Wenn dies während eines Arbeitstages passiert wäre, hätten wir die Menschen ganz normal nach Hause geschickt.« Es bestehe keine Gefahr für Öffentlichkeit oder Mitarbeiter. Die Anlage arbeite normal, wenngleich mit reduzierter Mannschaft. Am Montag würden alle Mitarbeiter normal zum Dienst erwartet.

Auch das Energieministerium in London gab Entwarnung. »Wir sind in ständigem Kontakt mit Sellafield«, sagte ein Sprecher gegenüber dem Sender BBC. »Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, dass dies ernsthafter ist, als sie es sagen.« Dennoch informierte die Betreibergesellschaft die Internationale Atomenergieagentur in Wien über die Maßnahme.

Atomkomplex

Der Atomkomplex Sellafield liegt im Nordwesten Englands an der Irischen See. Auf dem Gelände befindet sich das 1963 in Betrieb genommene und 2003 stillgelegte Atomkraftwerk Windscale. Sellafield wird seither ausschließlich zur Lagerung nuklearer Abfälle und zur Wiederaufbereitung benutzter Brennelemente verwendet. Außerdem werden hier Uran/Plutonium-Mischoxid-Brennelemente hergestellt. Auch deutsche Kraftwerksbetreiber schicken benutzte Brennstäbe zur Wiederaufbereitung nach Sellafield. Auf dem Gelände befinden sich noch etliche Castoren mit hoch radioaktivem Abfall, die zurück nach Deutschland transportiert werden sollen.

Umweltschützer weisen darauf hin, dass aus Europas ältestem Atomkomplex radioaktive Stoffe direkt ins Meer geleitet werden. Die unmittelbare Umgebung ist sehr stark kontaminiert. Außerdem gab es des öfteren Störfälle. Der schwerste war der »Windscale-Brand« von 1957 in einem danach stillgelegten Brutreaktor zur Erzeugung von Plutonium für den Bau von Atombomben. Im April 2005 wurde in Sellafield ein Leck entdeckt, durch das etwa 83 000 Liter einer hoch radioaktiven Flüssigkeit monatelang unbemerkt entweichen konnten. nd

 

Es ist nicht das erste Mal, dass die Atomanlage in der Grafschaft Cumbria an der Irischen See außerplanmäßig ihren Betrieb zurückfahren musste. Wegen Schnee und Sturm musste die Arbeit im März 2013 vorübergehend ausgesetzt werden. Damals erklärte ein Sprecher dem Fernsehsender BBC, dass man die Arbeiter auf Grund der Wetterbedingungen nach Hause geschickt habe, damit sie dort auch sicher ankämen. Der riesige Nuklearkomplex Sellafield besteht aus insgesamt 1300 Gebäuden. Auf dem Gelände befinden sich unter anderem ein Kernkraftwerk und eine Wiederaufbereitungsanlage.

Doch zu einer wirklichen Belastung könnte Sellafield werden, wenn es eines Tages abgebaut werden müsste. 2013 hat ein Ausschuss des britischen Unterhauses die Kosten auf 68 Milliarden Pfund (83 Milliarden Euro) geschätzt. Bevor das Gelände seit den späten 1940er Jahren mit Kernreaktoren, Brennelementefabriken und Wiederaufbereitungsanlagen bebaut wurde, beherbergte es eine Munitionsfabrik. Niemand weiß genau, welche Arten von Abfällen dort noch lagern.

Für die britische Regierung ist der Zeitpunkt des neuerlichen Zwischenfalls äußerst unpassend. Denn ebenfalls am Freitag traf sich der konservative Premier David Cameron mit dem französischen Präsidenten François Hollande - unter anderem, um über eine intensivere Zusammenarbeit in Sachen Atomkraft zu sprechen. Unter anderem soll die französische Firma EDF ein Atomkraftwerk in Hinkley Point in der Grafschaft Somerset im Südwesten Englands errichten - der erste Neubau seit Jahrzehnten in Großbritannien. Dabei sind auch chinesische Investoren mit an Bord. Die EU-Kommission hat allerdings ein Verfahren gegen die Finanzierung des Baus eingeleitet. Sie vermutet verbotene staatliche Beihilfe, denn den Betreibern wird ein sehr hoher Strompreis zugesichert.

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