Elefanten für die Arbeiter

Unilever wollte die Teeproduktion in Marseille einstellen, doch die Belegschaft besetzte die Fabrik

  • Florian Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Lebensmittelgigant will Tee für die Marke Eléphant künftig in Polen produzieren. Doch die Arbeiter beanspruchen die Marke für sich und wollen die Fabrik in Marseille aufrechterhalten.

Auf der Packung steht auf Französisch »Der Mate von Fralib«, darunter ist ein Trinkgefäß und ein Strohhalm aus Metall abgebildet. Mit diesen Utensilien trinken über 80 Prozent der argentinischen Bevölkerung regelmäßig Mate-Tee. Zudem haben in dem südamerikanischen Land mittlerweile mehr als 15 000 Arbeiter ihre von der Schließung bedrohten Betriebe in Selbstverwaltung übernommen. Ausreichende Gründe für die Belegschaft der seit zweieinhalb Jahren besetzten Teebeutelfabrik Fralib in Gémenos bei Marseille, Mate zu produzieren. Der direkte Anlass dafür war das internationale Treffen »The Economy of the Workers« (Die Ökonomie der Arbeiter), welches am 31. Januar und 1. Februar auf dem Fabrikgelände stattfand. Dort diskutierten um die 200 Arbeiter, Aktivisten und Wissenschaftler über alternative Ökonomie im Zeichen der Krise, reaktivierte Unternehmen in Europa und in Lateinamerika, sowie die Potenziale der ökonomischen Selbstverteidigung durch Selbstverwaltung.

Fralib liegt in einem Industriegebiet eingebettet in ein Tal zwischen zwei Hügelketten. Äußerlich unterscheidet zunächst einmal nicht viel die weiße, längliche, um einen rechten Winkel laufende Produktionshalle und das direkt am Eingang stehen Gebäude, in dem die Kantine und die Verwaltung untergebracht sind, von vergleichbaren Anlagen. Die zahlreichen, bereits verblassenden, auf die Gebäude und in ihrer direkten Umgebung gesprühten Slogans, weisen jedoch deutlich darauf hin, dass der kapitalistische Alltag hier schon vor einiger Zeit durchbrochen wurde. »Fralib lebt!« ist direkt neben dem Firmenlogo zu lesen. An anderen Stellen wird zum Boykott des Lebensmittelgiganten Unilever aufgerufen, zu dem Fralib zuletzt gehört hatte. Mit Hilfe einer Sprühschablone wurde überall auf dem Außengelände der Fabrik das Konterfei Che Guevaras angebracht. Zahlreiche Aufkleber der lokalen Gewerkschaftsgliederung der Confédération générale du travail (CGT), die den Arbeitskampf maßgeblich unterstützt, sind zu sehen.

Bereits seit mehreren Jahren kämpft die Belegschaft von Fralib nun schon um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Unilever wollte das Werk schließen, um die Produktion der Teemarke Eléphant genauso wie die Marke Lipton nach Polen zu verlagern. Die Belegschaft von Fralib hingegen fordert die Rechte an der Marke Eléphant, da diese vor 120 Jahren in Marseille gegründet und bislang nur in Frankreich vertrieben wurde. Im März 2013 stellte der Konzern die Zahlung der Löhne ein, obwohl er gerichtlich zur Lohnfortzahlung verpflichtet wurde. Die 76 Arbeiter, die von der einst 182 Personen starken Belegschaft noch verbleiben sind, beziehen heute Arbeitslosengeld. Erreicht haben sie aber immerhin, dass die Region Marseille Unilever die Fabrik abgekauft und sie der Belegschaft überlassen hat. Dies reicht jedoch noch nicht aus, um die Produktion wieder hochfahren und damit, wie geplant, 100 Arbeiter ernähren zu können.

Gérard Cazorla ist Gewerkschaftssekretär des Betriebskomitees und Mechaniker bei Fralib. Dass er sehr ungemütlich werden kann, hat er in den letzten Jahren immer wieder unter Beweis gestellt. »Wir möchten anders produzieren als Unilever«, sagt er, während er an einem Tisch im Büro des Verwaltungstraktes sitzt, »ohne chemische Zusatzstoffe und mit einem regionalen Bezug.« Die Belegschaft von Fralib hat einen Businessplan entwickelt. Man möchte sich zukünftig vor allem auf die Produktion von Lindenblütentee fokussieren. Die Pflanzen können in der näheren Umgebung angebaut werden, lange, unökologische Anfahrtswege würden damit wegfallen. Die sozialen Beziehungen innerhalb der Produktionskette wären unmittelbarer. Die Produkte möchte man vor allem regional absetzen. Bislang ist dies jedoch noch Theorie. »Wir benötigen die Rechte an der Marke Eléphant, ausreichend Startkapital, um in Rohstoffe investieren zu können und eine Nachfrage, die eine annähernde Auslastung der Maschinen in Aussicht stellt. Andernfalls sind wir nach einem halben Jahr pleite«, erklärt Cazorla nüchtern. Neben den Markenrechten fordern die Arbeiter deshalb auch Abfindungen von Unilever, die sie als Anschubfinanzierung nutzen möchten.

In der benachbarten Fabrikhalle finden sich die Teilnehmer des internationalen Treffens in Arbeitsgruppen zusammen. Sie tauschen sich darüber aus, wie die selbstverwalteten Betriebe in Europa effektiver vernetzt werden können und welche Art der Unterstützung sie benötigen. An dem Treffen nehmen schwerpunktmäßig Menschen aus Italien, Spanien und Frankreich teil. Aber auch aus Argentinien, Brasilien und Mexiko sind Wissenschaftler angereist, um ihre Forschungsergebnisse vorzustellen. Zwischen den Maschinen und Fließbändern hängen Transparente. Einzelne Teilnehmer betrachten neugierig die für sie augenscheinlich sehr fremde Fabrikumgebung.

Das internationale Treffen auf dem Fabrikgelände rückt Fralib erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Dies ist nicht das erste Mal, denn die Öffentlichkeitsarbeit der Fralib-Leute ist äußert effektiv. »Seit Beginn des Konflikts haben wir uns ständig weiter entwickelt«, sagt Cazorla, »wir hätten uns am Anfang niemals vorstellen können, dass wir all dies auf die Beine stellen können.« Angesprochen auf seine Einschätzung im Bezug auf den Ausgang des Konflikts, sagt er ruhig aber bestimmt: »Ich denke, die Regierung wird sich bald einschalten und für eine Lösung sorgen. Wir gehen ihr schon zu lange auf die Nerven.« Dass er von einer Lösung im Sinne der Belegschaft spricht, betont er dabei nicht. Das scheint für ihn selbstverständlich zu sein.

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