Der gnadenlose Mr. Bezos
Jeff Bezos wollte seine neue Firma ursprünglich »Relentless.com« nennen: also »Gnadenlos.com«. Er entschied sich dann aber für Amazon, da der Amazonas, der längste Fluss der Welt, um ein »Vielfaches größer ist als der nächstgroße« Fluss. Diese Episode verdeutlicht, dass der Amazon-Gründer Gnadenlosigkeit und Größe als Tugenden begreift. Die Geschichte wird in einem neuen Buch über den 50-jährigen Unternehmer zum Besten gegeben. Der US-Autor Brad Stone interviewte dafür etwa 300 Personen.
Schon in der Schule war Jeff Bezos durch überragende analytische Fähigkeiten, besessene Konzentriertheit und fast schon krankhaften Ehrgeiz aufgefallen. 1994 startete er in seiner Garage einen Online-Buchversand - 2013 erwirtschaftete Amazon mit seinen rund 90 000 Mitarbeitern einen Umsatz von 74,5 Milliarden Dollar, davon 10,5 Milliarden in Deutschland.
Bezos trimmte die Firma von Anfang an auf Kundenorientierung, Sparsamkeit und Innovation. Stone schreibt, dass der Chef auch heute noch jedes technische Detail im Online-Handel begreift und Kundenbeschwerden liest, die ihn über seine E-Mail-Adresse jeff@amazon.com erreichen. Und dass es ihm wie einst Apple-Gründer Steve Jobs an Empathie fehlt. Mitarbeiter arbeiten »lange, mit Köpfchen und hart«. Der Sparfanatiker Bezos lässt seine Mitarbeiter selbst für Snacks und Parkplätze zahlen. Er kann Untergebene abkanzeln mit Sätzen wie: Sind Sie faul oder inkompetent? Oder: Warum stehlen Sie mir meine Lebenszeit?
Stone verschweigt auch nicht die rüden Methoden, die Amazon groß gemacht haben. Der Konzern presste Rivalen mit Tiefstpreisen an die Wand, drückte sich darum, Steuern zu zahlen, wo es nur ging, und versprach Lieferanten wie dem deutschen Messerhersteller Wüsthoff Mindestpreise, um sie hinterrücks zu unterbieten.
Es gibt aber auch den verrückten Jeff, der, obwohl Milliardär, seine Kinder im Honda-Van zur Schule fährt, dessen bellendes Lachen andere einnimmt, der die Tageszeitung »Washington Post« kaufte, der seine Firma Blue Origin eine Rakete für Weltraumreisen bauen lässt und plante, von jedem je produzierten Produkt ein Exemplar zu kaufen und einzulagern.
Der Leser des Buches läuft gelegentlich Gefahr, sich im Gestrüpp der Namen und Details zu verheddern. Unterm Strich gelingt dem Autor jedoch ein hochspannendes Unternehmerporträt. Wer sich für Biografien über Steve Jobs oder Bill Gates begeisterte, liest dieses Buch mit Genuss.
Brad Stone: Der Allesverkäufer. Jeff Bezos und das Imperium von Amazon, Campus, Frankfurt/New York, 2013, Hardcover, 24,99 €.
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