Vorbei sind die Spiele, verfehlt die Ziele

Schwache deutsche Olympiabilanz wird auch noch vom Dopingfall überschattet

  • Oliver Händler, Adler
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Olympischen Winterspiele von Sotschi sind Geschichte. Wenn sich die Aufregung um die gedopte Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle gelegt hat, geht es an die Aufarbeitung der mageren sportlichen Bilanz. Nach 16 Wettkampftagen mit insgesamt 98 Entscheidungen stehen 19 Medaillen zu Buche - weit weniger als erwartet.

Es ist gepflegte Tradition, dass der Deutsche Olympische Sportbund am Ende der Olympischen Spiele Bilanz zieht. Doch auch wenn die Herren des DOSB mit Worten wie »unzufrieden« und »enttäuschend« nur so um sich schmissen, interessierten sich nur die Wenigsten für die üblichen Berechnungen, wie viel Geld eine Medaille denn dieses Mal gekostet hatte. Der Dopingfall der Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, der am Freitag bekannt geworden war, überschattete die gesamte deutsche Olympiabilanz.

»Wir haben einen Dopingfall erlebt, und für uns bleibt nicht nachvollziehbar, wie so eine erfahrene Athletin sich dieser Gefahr aussetzten konnte«, zeigte sich DOSB-Generaldirektor Michael Vesper noch zwei Tage nach der Nachricht entsetzt. Auch seinem Präsidenten Alfons Hörmann war »unverständlich, wie das Team in seiner Wahrnehmung so beeinträchtigt werden konnte«.

Sofern die Theorie der verunreinigten Nahrungsergänzung, die sich bislang nur auf die Erklärung der Athletin selbst stützt, wirklich stimmen sollte, stellt sich der Fall Sachenbacher-Stehle immer mehr als einer der Dummheit denn des Pechs heraus. »Sie hat mehr als fünf solcher Produkte eingenommen«, sagte Vesper, »und einige davon im Kölner Dopinglabor testen lassen.« Und die anderen? »Sie hat offenbar mit einem Mentaltrainer zusammengearbeitet, der nicht Teil der Olympiamannschaft ist. Von dem hat sie diese Produkte bezogen und ihm geglaubt, dass sie sauber seien.« Auffallend bleibt, dass der DOSB Sachenbachers Erklärung Glauben schenkt: »Sie hat es offensichtlich unbeabsichtigt eingenommen«, sagte Vesper.

»Ich bin erstaunt, wie gegen alle Empfehlungen des DOSB und der NADA verstoßen wurde«, ergänzte Hörmann, der daran erinnerte, dass vor allem die Nationale Antidoping-Agentur immer wieder vor der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln gewarnt hatte. Weil diese nicht nur häufig mit verbotenen Substanzen »verunreinigt« daherkommen, sondern außerdem eine Dopingmentalität förderten: Ein legales Mittel zu nehmen, das schneller macht, ist oft der erste Schritt auf dem Weg, später auch illegale zu nehmen, die noch schneller machen.

Der Biathlon-Weltverband muss den Fall nun aufklären. Es bleibt abzuwarten, ob er Sachenbacher-Stehle ebenfalls glaubt oder mal der Theorie nachgeht, dass sie bewusst gedopt habe und jene Nahrungsergänzung nur als Ausrede nutzt. Sie wäre nicht die Erste. Doch einerseits ist das reine Spekulation, und andererseits ändert es an der Länge einer Sperre nichts. Die Münchner Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaft hatte jedenfalls schon am Freitag den Bundes-Olympiastützpunkt in Ruhpolding und die Wohnung der Athletin durchsuchen lassen: Gefunden wurden verschiedene Nahrungsergänzungsmittel.

Noch ist auch nicht geklärt, ob das Methylhexanamin wirklich nicht auf den Produkten deklariert war oder Sachenbacher-Stehle einfach nur unaufmerksam war. Der Präsident des Deutschen Skiverbandes Franz Steinle habe nach Aussage von Vesper die Präparate in Sotschi sichergestellt. Sie sollen nun untersucht werden. Eine versehentliche Verunreinigung erscheint jedenfalls nicht logisch, denn hier wurden keine Eisenreste von irgendeinem Mischbehälter gefunden, sondern ein Stimulanz, das Muskeln schneller wachsen lässt und Fett schneller abbaut. Für Hersteller macht es durchaus Sinn, diese - heimlich oder nicht - beizumischen, damit Leistungssportler vom Produkt überzeugt werden, es vielleicht sogar anderen weiterempfehlen.

Irgendwann wird der Fall Sachenbacher-Stehle aus den Nachrichten verschwinden. Dann kann sich der deutsche Sport mit der Aufarbeitung der Olympischen Winterspiele von Sotschi befassen. Hörmann, Vesper und Leistungssportdirektor Bernhard Schwank konstatierten schon mal unisono, dass die Ziele weit verfehlt worden sind. Mindestens 27 Medaillen hatte sich die Mannschaft vorgenommen, am Ende wurden es 19, und damit nur noch knapp zwei Drittel der Zahl von Vancouver 2010. »Wir haben hier herausragende Leistungen einiger Teilmannschaften erlebt, aber insgesamt waren sie nicht zufriedenstellend«, bilanzierte Schwank.

Lediglich die alpinen Skiläufer (3 Medaillen), Rodler (5), Eiskunstläufer (1), Nordischen Kombinierer (3) Skispringer (2) und seit Samstag doch noch die Snowboarder (2) erreichten ihre selbst gesteckten Medaillenkorridore. Die größten Enttäuschungen erlebten die sonstigen Medaillenbringer im Biathlon, Bob und Eisschnelllauf. Letztere blieben erstmals seit 50 Jahren sogar komplett ohne Edelmetall. Erik Lesser und die Männerstaffel holten immerhin noch zwei Silbermedaillen für die Biathleten, vor acht Jahren waren es noch insgesamt elf - bei einem Wettbewerb weniger.

Die Zählerei von Plaketten ist von Grund auf problematisch, ignoriert sie doch die erstarkte Konkurrenz, Materialprobleme der Bobfahrer, Krankheiten von Leistungsträgern sowie unglückliche Stürze etwa des Langläufers Tim Tscharnke auf Medaillenkurs im Teamsprint. »Wir haben unser Ziel nicht erreicht«, sagte Vesper trotz dieser Erkenntnis. »Nach herausragenden ersten elf Tagen lagen wir im Medaillenspiegel vorn, dann folgten Tage der Erfolglosigkeit und als Höhepunkt der Dopingfall. Ich fühle mich wie in einem Fußballspiel, in dem wir 4:0 geführt haben und am Ende mit einem 4:4 nach Hause gehen.«

An anspruchsvollen Zielen soll trotzdem festgehalten werden, auch wenn selbst der untere Rand des sogenannten Korridors von 27 bis 42 Medaillen weit verfehlt wurde. »Jeder Sportler reist zu Olympischen Spielen, um Medaillen zu gewinnen und persönliche Bestleistungen abzurufen«, so Vesper. »Die Ziele waren nicht unrealistisch. Das Potenzial war definitiv vorhanden.« Die vielen Platzierungen zwischen vier und acht müssten auch nicht schlecht geredet werden. Es werde aber eine sorgfältige Auswertung erfolgen. »Möglicherweise muss der DOSB noch stärker eingreifen und die vereinbarten Projekte noch schärfer nachverfolgen«, gab Vesper Einblick in erste Überlegungen, wo der Dachverband offenbar die Zügel schleifen ließ.

Mehr als 32 Millionen Euro gab Deutschland im zurückliegenden Olympiazyklus für die Wintersportler aus. Ob 19 Medaillen das wert sind, ist eine Frage, die gestellt werden darf. Genauso wie die von Hörmann, die er bald mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sowie den Politikern im Sportausschuss des Bundestags diskutieren will: »Wie viel ist uns der Leistungssport an sich in Deutschland wert?« Viele Argumente für seine Forderung nach mehr Geld, bringt er aus Sotschi jedenfalls nicht mit.

An der breit gefächerten Förderung will Hörmann aber unbedingt festhalten und nicht den Weg der Niederländer einschlagen, die hier in Sotschi 24 Medaillen errangen, alle im Eisschnelllauf und Shorttrack. »Das werden wir nicht machen. Ich tausche gern 20 Medaillen in einer Disziplin gegen zehn in fünf Sportarten ein«, so der DOSB-Präsident.

Auch davon würde er sicher noch einmal die Hälfte abgeben, wenn er sich wenigstens sicher sein könnte, dass keine davon mit unerlaubten Mitteln errungen wurde. Doch die Sicherheit wird er niemals haben. Das ist spätestens seit Freitag auch ihm klar geworden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -