Die Mordrate konnte gesenkt werden

David Morales über die Menschenrechtsbilanz der linken FMLN-Regierung in El Salvador und die Stichwahlen

  • Lesedauer: 4 Min.
David Morales ist seit dem Vorjahr staatlicher Menschenrechtsanwalt von El Salvador. Zuvor hat er die Menschenrechtsabteilung des Außenministeriums geleitet. Für »nd« sprach Michael Krämer mit dem Anwalt über die Menschenrechtspolitik der aktuellen Regierung von Präsident Mauricio Funes. Bei der Stichwahl um die Nachfolge von Funes am 9. März ist der langjährige FMLN-Guerrilla-Comandante Salvador Sánchez Cerén Favorit.

nd: Herr Morales, jahrzehntelang war es um die Menschenrechte in El Salvador sehr schlecht bestellt. 2009 kam erstmals die linke FMLN an die Regierung. Hat sich dadurch etwas geändert?
Morales: Im Bereich der Menschenrechte gab es 2009 einen regelrechten Bruch mit der Politik der Vorgängerregierungen. So erkennt die derzeitige Regierung erstmals die staatliche Verantwortung für die schweren Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs (1980 bis 1992) an. Vor zwei Jahren hat Präsident Mauricio Funes im Namen des Staates bei den Angehörigen der Opfer des Massakers von El Mozote um Vergebung gebeten. Alle wussten, dass das Militär dort 1981 mindestens 900 Zivilisten ermordet hatte. Doch erst jetzt hat ein Präsident die Verantwortung des Staates dafür öffentlich ausgesprochen. Es gibt erste Entschädigungen und einige symbolische Aktionen zur Anerkennung der Opfer. Das ist längst noch nicht ausreichend, aber ein Anfang ist gemacht.

Wie steht es um die Menschenrechte heute?
Die Regierung hat ein Sekretariat für soziale Inklusion geschaffen, das für all jene Personenkreise Förderpolitiken erarbeiten soll, die traditionell benachteiligt waren. Dazu zählen Indigene, Behinderte sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle. Mit konkreten Maßnahmen zur besseren Versorgung der armen Bevölkerung in den Bereichen Bildung und Gesundheit leistet die Regierung wiederum einen Beitrag zu den wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten.

Und wo liegen die Schwachpunkte?
Im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Zwar konnte die Anzahl der Morde im letzten Jahr deutlich gesenkt werden. Auch hat die Regierung, vor allem in der Anfangszeit, versucht, einen umfassenderen Begriff von Sicherheit umzusetzen - also eine Politik, die nicht mehr nur auf Repression setzt, sondern auch auf Verbrechensvorbeugung und soziale Programme, um Jugendlichen eine andere Perspektive als die Mitgliedschaft in den Maras, den Jugendbanden, zu geben. Doch dann hat die Regierung doch wieder hauptsächlich auf Repression gesetzt und sogar einen ehemaligen Militär zum Chef der Polizei gemacht, was dem Friedensabkommen klar widersprach.

Einen Bereich haben Sie gar nicht genannt: die reproduktiven Rechte. El Salvador hat eines der weltweit strengsten Abtreibungsgesetze, selbst bei Gefahr für das Leben der Frau ist eine Schwangerschaftsunterbrechung verboten.
Dieses Gesetz verletzt die Rechte der Frauen und muss reformiert werden. Abtreibung in bestimmten Fällen, vor allem aus medizinischen Gründen, muss erlaubt werden. Durch das derzeitige Strafrecht werden Frauen zu Opfern. Selbst wenn gar nicht zweifelsfrei geklärt ist, ob es eine Abtreibung oder vielleicht eine Fehlgeburt gab, können Frauen wegen Mord zu 20 Jahren Gefängnis und mehr verurteilt werden.

Hat die FMLN nichts getan, um das Abtreibungsrecht zu reformieren?
Alle drei großen im Parlament vertretenen Parteien schweigen dazu, auch die FMLN. Und die Regierung ist ebenfalls nicht aktiv geworden. Alle haben Angst vor dem Druck der Kirchen und einiger ziviler Organisationen.

Kann die Menschenrechtsprokuratur (PDDH) hier nicht aktiv werden?
Die PDDH hat sich bereits dafür ausgesprochen, dass die reproduktiven Rechte der Frauen geachtet werden müssen. Das kann aber nicht alles sein. Wir müssen in diesem Bereich aktiver werden und uns für eine Reform des Strafrechts einsetzen, das diese Verurteilungen erst möglich macht.

Ein anderes Thema: Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen liegt die FMLN deutlich vor der rechten ARENA. Könnte es bis zur Stichwahl am 9. März nun zu einer Schmutzkampagne der Rechten kommen, um die Wahl doch noch zu gewinnen?
Das ist möglich. Doch ARENA hat sich im ersten Wahlgang weitgehend darauf beschränkt, die Regierung und die Lage in El Salvador schlecht zu machen - und hat dabei nicht gut abgeschnitten. Es wäre also auch gut möglich, dass ARENA nun auf einen konstruktiveren Wahlkampf umschwenkt.

Die FMLN hat sehr gute Aussichten, die Präsidentschaftswahlen im zweiten Wahlgang für sich zu entscheiden. Was bedeutet das für die Menschenrechte in El Salvador?
In ihrem Wahlprogramm erklärt die FMLN, die Ausgaben im sozialen Bereich erhöhen zu wollen. Das ist aus der Perspektive der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte zu begrüßen, vieles ist da aber noch unklar. Ich hoffe, dass sie sich auch stärker für die Opfer des Bürgerkriegs einsetzt und ihnen verschiedene Formen der Entschädigung zuerkennt. Und dafür sorgt, dass El Salvador die internationalen Menschenrechtsabkommen erfüllt.

Und was passiert, falls doch ARENA gewinnt?
ARENA hat von 1989 bis 2009 zwanzig Jahre lang regiert und hatte dabei eine sehr ideologische Sicht auf die Menschenrechte. Der Achtung der Menschenrechte hat sie nie besonders viel Bedeutung beigemessen. Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen aus den Zeiten des Bürgerkriegs hat sie geleugnet und wollte die internationalen Menschenrechtsabkommen nicht erfüllen. In ihrem Wahlprogramm äußert sie sich kaum zu den Menschenrechten. Vor allem droht aber eine Militarisierung der Sicherheitspolitik. Der ARENA-Präsidentschaftskandidat Norman Quijano hat erklärt, dass er bis zu 100 000 Jugendliche für das Militär zwangsrekrutieren möchte, um so der Gewalt zu begegnen. Für die Menschenrechte wären das keine guten Aussichten.

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