Der smarte Aufreißer aus Berlin-Friedrichshain ist ganz stolz, dass er unter den Augen seiner Freunde eine glutäugige Südamerikanerin in der bundeshauptstädtischen Fanmeile zu einer Brause einladen kann. Doch dann gesteht die junge Schöne im gelbgrünen »Brazil»-Trikot: »Isch bin a's Wisbadde.« Nur einige Meter weiter zwei blonde Mädchen mit einer dezenten schwedischen Flagge. »Hättste lieba England jenommen«, mosert die eine.
Kein Zweifel: Die Deutschen sind im »Nationentaumel«. Aber in einem internationalen. Wann immer ein Spiel auf einer der hunderten von Großleinwänden oder in den unzähligen Fernsehkneipen übertragenden wird, dann gilt (wenn nicht gerade Deutschland spielt): »Du bist Spanien« oder auch »Du bist Ghana«.
Die WM scheint also weniger zum ausländerfeindlichen Pseudopatriotismus zu taugen, sondern wird eher zum Gegenteil, zu überschwänglicher Völkerverständigung genutzt. Für die WM-Zeit, oft aber auch für ein paar Tage oder gar nur 90 Minuten suchen sich die Fans »ihre Nation«. Und dies offenbar ohne jede Spur von Stoiberscher Angst vor »rassischer Durchmischung«. Fast sieht es so aus, als könnte König Fußball in Sachen Multikulti in einem Monat mehr erreichen als jahrelange moralinsaure Christiansen-Belehrungen.
Wenn schon »Patriotismus« im Zusammenhang mit WM, dann eher im Sinne des Kommentatoren-Urgesteins Werner Hansch. Ex-Innenminister Otto Schily, der unter Nationalbewusstsein stets »Das Boot ist voll« verstand, musste sich von dem rustikalen Reporter im TV-Talk belehren lassen, es sei absurd, die Fanfreude über ein Klosetor zur »Vaterlandsliebe« hochzustilisieren. Ebenso wenig sei »Deutschland vor, noch ein Tor!« patriotisches Bekenntnis, sondern ein simpler Schlachtruf. Als Patrioten könne man, so Hansch weiter, im Übrigen bestenfalls die tausenden ehrenamtlichen Helfer vom Parkplatzwächter bis zum Innenstadtlotsen bezeichnen.
Dies sei an dieser Stelle noch dahingehend ergänzt, dass wirklicher Patriotismus erst dann ist, wenn Franz Beckenbauer seine Steuern in Deutschland bezahlt.
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