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Jeder Krieg braucht Lügen
Angela Klein über die neue deutsche Außenpolitik der Großen Koalition
Pünktlich zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges erhebt sich in Deutschland wieder Kriegsgeschrei: Gleich drei prominente Politiker sind auf der kürzlich zu Ende gegangenen Münchner Sicherheitskonferenz in die Bütt gegangen: Ein Bundespräsident, eine Verteidigungsministerin und ein Außenminister taten kund, »die Welt« warte nur darauf, dass Deutschland wieder eine »Führungsrolle« spiele.
Jeder Krieg braucht Lügen. Vor 100 Jahren war es die Lüge, die zivilisierte Welt habe sich gegen die Aggression des russischen »Blutzaren« zu verteidigen. Der Wahrheit schon näher kam der Anspruch auf einen »Platz an der Sonne«. Heute unterscheiden sich die Lügen nur in der Wortwahl, nicht in der Sache.
Der Bundespräsident, qua Beruf und qua Amt doppelt prädestiniert für Nebelbomben, hat einer dreifachen Lüge die Weihe seines Amtes verliehen. Er hat erstens einen Schlussstrich gezogen: Der Pazifismus ist überholt, militärische Zurückhaltung ist jetzt Drückebergerei. Er beansprucht zweitens das Recht, in die staatliche Ordnung anderer Länder einzugreifen. Vor 100 Jahren wurde dies mit der kulturellen Überlegenheit der Europäer gegenüber anderen Völkern begründet. Heute geht das nicht mehr, aber die Überzeugung von der grundsätzlichen eigenen Überlegenheit ist immer noch da, sie äußert sich jetzt nur als die Arroganz des Reichen, der dem Armen schlechtes Benehmen vorwirft.
Bei schwereren Menschenrechtsverletzungen hätten »wir« eine moralische Pflicht, militärisch einzugreifen: »Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen gewalttätige Regime nicht unantastbar machen.« Sprich: »Wir« haben grundsätzlich das Recht, Regime zu dulden oder auch nicht. Gewalttätig sind eh immer nur die anderen, außerdem definieren »wir«, was gewalttätig ist.
Bei Gaucks drittem Punkt schimmert wenigstens etwas Ehrlichkeit durch, wenn er sagt: »Deutschland ist überdurchschnittlich globalisiert und profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung (...), die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden.« Hier liegt der Hase im Pfeffer: Eine Ökonomie, die so stark vom Export lebt, muss sich weltweit Rohstoffe, Absatzmärkte und Transportwege sichern, einschließlich der dafür notwendigen politischen Voraussetzungen in Form internationaler Verträge, und wenn nötig eben auch der militärischen Gewalt. Dieses Interesse hat Gauck nicht erfunden, es ist vorgegeben seit den Strategiepapieren der Bundeswehr und der NATO in den 1990er Jahren und bildet die Leitlinie, an der sich alle Bundesregierungen orientieren.
Dass der Auftritt des Dreigestirns auf der Münchner Bühne in der Presse als »machtpolitischer Befreiungsschlag eines ›erwachsenen‹ Deutschland« (»Spiegel Online« am 2.2.2014)wahrgenommen und gefeiert wurde, liegt daran, dass das deutsche Bürgertum in der jüngsten Weltwirtschaftskrise erfahren hat, dass es besser aus der Krise herausgekommen ist als alle anderen, seine ökonomische Vormachtstellung aber kein Pendant hat in einer politischen. Das soll sich jetzt ändern, indem Deutschland erneut den Anspruch erhebt, auch militärisch Großmacht zu sein.
Dabei gibt Gauck freimütig zu, dass die Machthabenden in Deutschland auf die »Multilateralisierung« der Beziehungen und die Hegemonieschwäche der USA keine Antwort haben, ebenso wenig wie andere im Westen. Es gibt Verunsicherung, keinen Plan. Aber wer keinen Plan hat, sollte erst recht die Finger von den Waffen lassen. Wer seine eigene Haut rettet, indem er eine Schneise der Zerstörung durch den europäischen Kontinent zieht, empfiehlt sich nicht für eine internationale Führungsrolle.
Heißt das, dass sich jetzt die deutsche Linke aufschwingen muss zu liefern, wozu die Kapital- und Machtbesitzenden nicht fähig sind? Wird von der Linken wirklich ein »Gegenentwurf zur Rolle Deutschlands in der Welt« verlangt? Taugt »Außenpolitik« überhaupt dazu, das Zusammenleben der Völker auf eine solidarische Grundlage zu stellen? Oder ist sie nicht vielmehr Relikt eines überholten nationalstaatlichen Machtdenkens?
Linke brauchen eine internationalistische Agenda, keine außenpolitische. Und das heißt enge, organisierte Zusammenarbeit mit sozialen und fortschrittlichen, demokratischen Bewegungen in anderen Ländern zum Zweck des Sturzes des jeweils eigenen Regimes.
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