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Angst als Wegbereiter
Harald Klimenta über die Transatlantische Freihandelspartnerschaft (TTIP)
Die EU-Kommission hatte sich die Verhandlungen mit den USA zur Schaffung einer transatlantischen Freihandelszone sicherlich einfacher vorgestellt: Nun muss auch die eigene Bevölkerung aufwendig davon überzeugt werden, dass das im Geheimen verhandelte Projekt ein gutes ist. Denn die veröffentlichten Studien zur Schaffung von Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätzen wurden von aufmerksamen Zeitgenossen in der Luft zerrissen: Durchschnittlich 545 Euro mehr pro Vier-Personen-Haushalt im Jahr werden prognostiziert - auf zehn Jahre macht das zwei Promille jährlich. 28 000 Arbeitsplätze für Deutschland in einem halbwegs realistischen Szenario - auf zehn Jahre macht das 0,06 Promille mehr Arbeitsplätze jährlich, das geht im Rauschen unter. Damit lässt sich niemand begeistern, also müssen andere Strategien her, um die Freihandelszone durchzupeitschen.
Zunächst fährt die EU-Kommission eine umfassende Charm- und Transparenzoffensive: Die Unternehmen hätten unnötige Kosten wegen unterschiedlicher Blinkerfarben und anderer Lappalien. Über die privaten Schiedsstellen (wo in Hinterzimmern Staaten zu Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagt werden können, wenn sie Unternehmen durch eine unvorsichtige Gesetzgebung die Gewinne versauen) wird bis zur Europawahl nicht weiterverhandelt. Das Ziel des Schachzugs: Ruhe bis nach der Europawahl.
Doch die Ablehnung des Freihandelspakts in der Bevölkerung wächst trotzdem weiter. Wenn aber positive Propaganda nicht mehr überzeugt, muss das Angst-Argument bemüht werden. Es lautet: Entweder es gibt den Freihandelspakt oder unsere Wirtschaft wird von den Chinesen niederkonkurriert.
Beispielhaft hierfür ist die Argumentation von Thomas Steg, dem Generalbevollmächtigten von VW: Entweder »wir« machen eine Freihandelszone, oder die Asiaten setzen in Zukunft die Standards.
Nur: Was wäre gewesen, wenn Obama und Barroso 2013 nicht verkündet hätten, mit Geheimverhandlungen über eine Freihandelspartnerschaft zu beginnen? Die Antwort ist simpel: nichts. VW würde weiterhin Milliardengewinne einfahren - und um technische Normen abzusprechen, braucht man kein Freihandelsabkommen. Durch das TTIP aber hat die europäische Automobilindustrie die Hoffnung, ihre Profite auszuweiten.
Kritisch wird es bei Zulassungsregeln. Dass man Crash-Test-Normen vernünftig vereinheitlichen oder wechselseitig anerkennen kann, steht außer Zweifel. Aber etwa bei der Zulassung chemischer Substanzen sind die Kulturen in den USA und der EU so unterschiedlich, dass eine Regulierungskooperation hochproblematisch ist: In Europa gilt das Vorsorgeprinzip und Unternehmen müssen die Unbedenklichkeit ihrer Produkte nachweisen. In den USA muss der Staat nachweisen, dass Substanzen schädlich sind. Schon eine Annäherung dieser Kulturen ist gefährlich, da dies unzweifelhaft das Vorsorgeprinzip in Europa schwächen würde - und jenes ist notwendig für vorausschauenden Verbraucher- oder Klimaschutz. Nur: Es ist teuer, und Industrielobbyisten auf beiden Seiten des Atlantiks sähen es lieber heute als morgen überwunden.
Der Ursprung des Angstargumentes ist der Standortwettbewerb: Die Kosten müssen runter, um international mithalten zu können und um unsere hohen Standards zu halten. Gleichzeitig ist die weitere Verschärfung des Standortwettbewerbs das Ziel des Handelspaktes. Dieser Wettbewerb macht Angst, und um die Angst und den Standortwettbewerb zu beherrschen, brauchen wir mehr Standortwettbewerb. Ein sich selbst beschleunigendes System, indem es keinen Status quo gibt: Alles muss wettbewerbsfähiger werden, für immer. So bereitet das Angstargument den Weg, das Vorsorgeprinzip immer weiter aufzuweichen, um es zu erhalten. Das ist völlig widersinnig. Wir sollen immer mehr Standards und Normen »kostenoptimal« gestalten, um sie zu retten? Aus diesem Dilemma kommen wir nur heraus, wenn wir ein kooperatives Handelssystem durchsetzen, wie es z. B. mit dem Alternativen Handelsmandat von einem europaweiten Bündnis erarbeitet wurde. Dies hat zur Voraussetzung, den Menschenrechten und dem Schutz der Umwelt Vorrang vor Konzerninteressen einzuräumen, sowie einer demokratischen, vorsorgenden Regionalentwicklung Vorrang vor globalem Handel zu gewähren. Die TTIP ist das Gegenteil von alledem. www.alternativetrademandate.org.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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