Karneval ohne Kardinal
Papst Franziskus versetzt den Kölner Erzbischof Joachim Meisner in den Ruhestand
Deutschlands bekanntester Karnevalswagenbauer trauerte Joachim Kardinal Meisner schon vorab nach: Die Charakterköpfe, klagte Jacques Tilly in diesen Tagen, träten einer nach dem anderen ab. Nämlich George Bush, Mahmud Ahmadine-dschad - und eben Meisner, dessen Abberufung seit Wochen erwartet wurde. Der Kölner Kardinal sei »natürlich immer gut gewesen« für eine Verulkung als Figur im Rosenmontagszug, bekannte der durchaus kirchenkritische Künstler Tilly.
Köln steckt mittendrin im Karneval. Mancher von den gestrigen (Weiberfastnacht!) Exzessen gepeinigte rheinländische Jeck wird sich die verkaterten Augen gerieben haben, als er am Karnevalsfreitag die Nachricht vernahm: Papst Franziskus entspricht dem Rücktrittsgesuch seines kölschen Statthalters, beruft Meisner als Erzbischof des größten deutschen Bistums ab. Den Titel Kardinal behält der erzkonservative Katholik, gilt mit seinen 80 Jahren allerdings als zu alt, um einen etwaigen neuen Papst mitwählen zu dürfen. Viel Schaden kann Meisner also nicht mehr anrichten.
Viele sehen eine Ära beendet. In der Tat geht der vielleicht letzte Rock ’n’ Roller des katholischen Klerus in Rente. Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, würdigte Meisner gestern als »unerschrockenen Glaubenszeugen«. Dem »Mann der klaren Worte« seien zahlreiche Impulse zu verdanken. Eine erstarkende kircheninterne Bewegung fordert derweil mehr Mitspracherechte bei der Berufung von Meisners Nachfolger.
Kein Wunder. Vor 25 Jahren ging aus einem komplexen Verfahren zwischen Heiligem Stuhl und Kölner Domkapitel - zuletzt schalteten sich auch die beiden Ministerpräsidenten im Einzugsgebiet des Erzbistums, Johannes Rau und Bernhard Vogel, ein - der gebürtige Schlesier 1989 als Sieger hervor. Der neue Kölner Erzbischof galt vielen als von Rom oktroyiert. Insbesondere dagegen protestierten seinerzeit 220 katholische Theologen in einer Kölner Erklärung »Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität«. Der in der DDR aufgewachsene und als wenig fortschrittlich geltende Kirchenmann, zuvor Bischof des Bistums Berlin, das west- und ostdeutsche Gebiete umfasste, galt vielen als nicht kompatibel zum lebensfroh-liberalen »rheinischen Katholizismus«.
Und der Import sollte die Bedenkenträger keineswegs Lügen strafen während jenes Vierteljahrhunderts, in dem Meisner das Erzbistum führte. »In betenden Händen ist die Waffe vor Missbrauch sicher«, sagte er 1996 anlässlich eines seiner berüchtigten Soldatengottesdienste, die meist von massiven Protesten begleitet wurden. Der Vorwurf der Demonstrierenden: Meisner bereite an der Heimatfront künftige Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr ideologisch vor. Viele erinnerten sich daran, dass auf den Gürtelschlössern der Wehrmachtssoldaten, die während des Zweiten Weltkrieges Europa terrorisierten, ein frommer Wunsch zu lesen war: »Gott mit uns«. Derweil Pfaffen die Waffen mit Weihwasser besprenkelten - so wie Meisner nun die Uniformierten.
»Die Kirche sieht in den Soldaten eine letzte Möglichkeit, das Böse im Menschen zu bannen«, predigte der Kardinal. Auch der rechten Laienorganisation »Opus Dei« stand er nahe. Zu selbstbewussten Frauen, Schwulen, Lesben und Ungläubigen hatte Meisner nicht ein ganz so inniges Verhältnis. Homosexualität (weil sie der Schöpfungsordnung widerspreche) und »Wissenschaftsgläubikeit« bezeichnete er als »Gifte«, die die Gesellschaft »ausschwitzen« müsse.
Heftige Kritik auch aus dem CDU-Milieu musste Meisner im vorletzten Jahr einstecken, als in einem katholischen Krankenhaus Kölns einem Vergewaltigungsopfer Hilfe verweigert wurde - unter Berufung auf eine kirchliche »Ethikrichtlinie«. Meisner musste sich entschuldigen.
Die »Pille danach« indes lehnt er auch weiterhin ab - selbst dann, wenn der »Kindsvater« der Vergewaltiger der »Kindsmutter« ist.
Zuletzt sorgte der nunmehr emeritierte Bischof für Schlagzeilen, als er vor erzkatholischen Groß-Clans verkündete: »Eine Familie von euch ist mir dreimal lieber als eine muslimische.« Als »Hassprediger« darf Meisner trotz allem nicht bezeichnet werden, lokale Grünen- und LINKE-Politiker holten sich diesbezüglich vor Gericht eine blutige Nase. »Aber ein Arschloch ist er doch«, pflegte der Kabarettist Jürgen Becker über Meisner zu sagen.
Auch zum Karneval hat Joachim Kardinal Meisner natürlich eine dezidierte Meinung: Man könne die »fünfte Jahreszeit« nicht als Einsiedler genießen. Ganz so schlimm wird es für den Emeritus wohl nicht kommen. Aber dass in Köln jetzt noch fröhlicher geschunkelt, gebützt und gesoffen wird, dies darf als sicher gelten.
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