- Kommentare
- Debatte
Jetzt auch die Hürden für den Bundestag senken!
Michael Efler vom Verein Mehr Demokratie fordert eine Drei-Prozent-Klausel für den Einzug von Parteien in das oberste deutsche Parlament
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das die Drei-Prozent-Hürde bei den Europawahlen für verfassungswidrig erklärt, können die Wählerinnen und Wähler nun frei von taktischen Zwängen ihr Kreuzchen setzen. Nur noch wenige Stimmen fallen nicht ins Gewicht. Eventuell führt das Urteil auch zu einem leichten Anstieg der Wahlbeteiligung. Vor allem aber hat das Gericht dem undemokratischen Vorgehen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Urteil wurde unter anderem durch die Verfassungsbeschwerde von Mehr Demokratie erwirkt.
Direkte rechtliche Konsequenzen für den Bundestag hat das Urteil nicht. Politisch ist es aber an der Zeit, auch die Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen in Frage zu stellen. Bei der Bundestagswahl im September 2013 sind so viele Stimmen wie noch nie für Parteien abgegeben worden, die an dieser Sperrklausel gescheitert sind: 15,7 Prozent der abgegebenen Stimmen summieren sich auf knapp sieben Millionen Wählerinnen und Wähler. Dies entspricht in etwa dem Stimmenanteil, den die LINKE und die Grünen bekommen haben. Nicht zuletzt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Hans-Jürgen Papier hinterfragt daher die Fünf-Prozent-Hürde.
Deren größtes Problem: Sie verletzt millionenfach das Gleichheitsprinzip. Jeder sechste Wähler findet seine Stimme in der Zusammensetzung des Bundestages nicht wieder. Fast wäre es dadurch sogar zu einer weiteren Verzerrung des Wahlergebnisses gekommen. Hätten nur circa 0,7 Prozent mehr der Wähler ihre Stimme der Union statt der SPD gegeben, wäre es zur absoluten Mehrheit für Angela Merkel und Horst Seehofer gekommen - und das mit gut 42 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Sperrklausel bedeutet außerdem, dass es neue politische Kräfte und Bewegungen sehr schwer haben, sich zu etablieren: Ohne den Einzug in ein Parlament gibt es wenig mediale Aufmerksamkeit und ohne diese schlechtere Chancen auf den Einzug ins Parlament bei der nächsten Wahl. Die Altparteien profitieren natürlich davon und halten sich die lästige Konkurrenz gerne vom Leib. Oft mit dem Argument, dass die Fünf-Prozent-Hürde erforderlich sei, um eine stabile Regierungsbildung zu erreichen.
Ein Blick in zahlreiche andere europäische Staaten zeigt jedoch, dass dies nicht stimmt. So kennen Länder wie die Schweiz, Spanien, die Niederlande oder Finnland überhaupt keine Sperrklausel, während Dänemark, Schweden, Norwegen oder Österreich eine niedrigere Hürde haben als Deutschland. All diese Staaten sind stabile Demokratien, in denen es höchst selten zu Regierungskrisen kommt.
Auch das Argument, die Hürde sei ein dringend benötigtes Bollwerk gegen rechtsradikale Parteien wie die NPD, zieht nicht. Dafür ist sie das falsche Instrument: Zwangsläufig sind von einer Sperrklausel auch andere Parteien betroffen. Zudem zeigt sich, dass sie auf Landesebene keinen ausreichenden Schutz gegen den Einzug in Parlamente bietet, wie Wahlergebnisse in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern (NPD), aber auch in Berlin und Baden-Württemberg (Republikaner) gezeigt haben. Eine Sperrklausel verhindert eben nicht das Entstehen und Heranwachsen solchen Gedankengutes.
Es gibt zwei zentrale Unterschiede zwischen Bundestag und EU-Parlament, die dazu führen, dass eine komplette Abschaffung der Sperrklausel bei Bundestagswahlen nicht sinnvoll ist. Erstens besteht der Bundestag aus derzeit 631 Abgeordneten, während es nur 96 deutsche Abgeordnete im Europäischen Parlament gibt. Das bedeutet, dass ein Wegfall der Sperrklausel im Bundestag auch ganz kleinen Splitterparteien den Einzug ermöglichen würde, während für den Einzug ins Europaparlament rund ein Prozent der Wählerstimmen benötigt würden. Zweitens wählt das EU-Parlament im Unterschied zum Bundestag keine Regierung und operiert häufig mit wechselnden Mehrheiten. Mehr Demokratie schlägt daher für den Bundestag eine Senkung auf drei Prozent vor.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.