Lieber nach vorn statt quer

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Ja, ich gebe es zu. Dass die deutsche Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft bisher so famos aufgetreten ist, hätte ich nicht für möglich gehalten. Nicht alle Maßnahmen der Veränderungsmaschinerie von Bundestrainer Jürgen Klinsmann erschienen mir schlüssig. Sein stetes Gerede von der ständigen Entwicklung der Spieler, egal ob nach guten oder schlechten Partien, ging mir auf den Keks. Vielleicht war dies nur ein Trick, um die jungen deutschen Spieler aus der Schusslinie zu nehmen. Durch die fehlende WM-Qualifikation, als Gastgeber war die Bundesrepublik ja automatisch qualifiziert, fehlte offensichtlich der nötige Druck. »Bei den Freundschaftsspielen war die Mannschaft immer nur ein paar Tage zusammen. Da hatten wir nicht die Möglichkeit, alle unsere Vorstellungen umzusetzen«, sagte Klinsmann am Dienstag auf der täglichen Pressekonferenz des Deutschen Fußball-Bundes in Berlin. Wie seine Vorstellungen aussehen? Klinsmann ist gewissermaßen auch als Trainer noch immer ein Stürmer. Am Sonnabend beim überzeugenden 2:0-Erfolg gegen Schweden in München sprang Klinsmann von der Bank auf, wenn seine Schützlinge die Kugel zu lange in die Breite spielten. Lieber vertikal nach vorn, statt quer oder gar nach hinten, lautet das Klinsmannsche Credo. Teammanager Oliver Bierhoff erinnerte daran, dass der deutsche Fußball in den letzten Jahren für Rumpeleien und schlechtes Spiel stand. Jetzt freut sich DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder nach dem Schweden-Match wie ein Kind: »Ich habe noch nie so viele Torchancen in einem Spiel gesehen.« Wie hat es Sunnyboy Klinsmann geschafft, Deutschland in eine einzige Fanmeile zu verwandeln? Wohl kaum mit schwäbischer Sparsamkeit. Vielmehr kommen dem 41-Jährigen nun die vielfältigen Erfahrungen seiner vielen Auslandsstationen in Italien, England, Frankreich - und man möchte es kaum zugeben - wohl auch in seiner Wahlheimat Kalifornien zu Gute. Gepaart mit fast naiver Unerfahrenheit als Trainer - schließlich ist die Nationalelf seine erste Station als Übungsleiter - hat der Blondschopf in punkto Trainingsmethodik und Motivation eine Draufsicht entwickelt, die so schlecht nicht sein kann. Aus dem Heer der Kritiker möchte ich jedoch noch nicht voll ausscheren. Schließlich kann der Rausch einer WM schnell vorbei sein. Für mich ist dabei nicht wichtig, ob Deutschland am Freitag nach fast sechs Jahren mit Argentinien wieder einen »Großen« des Weltfußballs schlagen kann. »Klinsi« geht auch ohne Titel als Sieger von der WM-Bühne. Maßgeblich wird auch sein, wie die Nationalelf den Alltag meistert, also der Qualifikation für die Europameisterschaft in der Schweiz und Österreich. Der Forderung von Oliver Bierhoff, die Vereine mögen das positive Feedback aus der Nationalmannschaft ernst nehmen, kann ich nur bedingt folgen. Mir fallen da sofort die Worte von Franz Beckenbauer ein, der die deutsche Elf nach Wiedervereinigung und WM-Titel 1990 auf Jahre für unschlagbar hielt.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal