Die Louis-Dreyfus-Affäre
Im Prozess gegen den FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß geht es um mehr als nur Steuerehrlichkeit
Mit großem Andrang wird am Montag am und im altehrwürdigen Münchner Justizpalast gerechnet. Uli Hoeneß muss dann neben seinen drei Anwälten auf der Anklagebank Platz nehmen. »Wir sind auf alles vorbereitet«, erklärte Gerichtssprecherin Andrea Titz. Man müsse neben »50, 500 oder 5000« Reportern auch mit Fans und Gegnern des FC Bayern und seines Präsidenten rechnen.
Streit um die strafbefreiende Selbstanzeige
Sollen Steuerhinterzieher durch Selbstanzeige der Strafe entgehen dürfen? Die Forderung nach Abschaffung dieser strafrechtlichen Besonderheit wird lauter. Mehr
Chronologie
2001: Der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus überweist Bayern-Manager Uli Hoeneß in Form eines Kredits und einer Bürgschaft 20 Millionen D-Mark (10,23 Millionen Euro) auf ein Konto bei der Schweizer Bank Vontobel – »zum Zocken«, wie Hoeneß einräumt.
2002 bis 2006: Hoeneß handelt nach eigenen Worten teilweise Tag und Nacht an der Börse und macht weltweit Geschäfte. Zu Summen macht er keine Angaben, Medienberichten zufolge lagen die Umsätze im dreistelligen Millionenbereich.
2008: Nach eigenen Angaben machte Hoeneß schon in den Vorjahren zu viele Verluste. Mit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise sei es »endgültig in den Keller« gegangen, und er habe seine Geschäfte stark reduziert. Trotzdem soll er unterm Strich so viel Gewinn gemacht haben, dass laut »Süddeutscher Zeitung« eine Steuerschuld von 3,5 Millionen Euro offen blieb.
August 2011: Nach langen Verhandlungen einigen sich Deutschland und die Schweiz darauf, dass in der Schweiz gebunkerte unversteuerte deutsche Vermögen nachversteuert werden. Die Anleger sollen aber anonym bleiben und straffrei davonkommen. Das Abkommen, das später noch präzisiert wird, soll am 1. Januar 2013 in Kraft treten. Das Konto von Hoeneß wäre unter die Regelung gefallen.
November 2012: Die von SPD und Grünen regierten Länder lassen das Abkommen im Bundesrat scheitern, eine Lösung im Vermittlungsausschuss scheitert wenige Wochen später. Damit kann Hoeneß seine Gewinne nicht nachträglich steuerrechtlich legalisieren.
Januar 2013: Die Ereignisse überschlagen sich und es gibt widersprüchliche Angaben: Am 14. Januar will der »Stern« die Schweizer Bank Vontobel mit eigenen Recherchen zu einem Konto eines deutschen Fußballfunktionärs konfrontiert haben, am 16. Januar erscheint die Geschichte online – ohne Nennung des Namens des Funktionärs. Tags darauf reicht Hoeneß nach eigenen Angaben Selbstanzeige bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle in Rosenheim ein. Im »Stern« bezeichnet er später die zeitliche Nähe von Selbstanzeige und Recherche als Zufall. Die Selbstanzeige sei über Monate vorbereitet worden. Die Frage, wer was wann wusste, kann im Prozess wichtig werden – falls die Staatsanwaltschaft Hoeneß schon vor der Selbstanzeige im Visier hatte, wäre dies ein Grund, die Selbstanzeige als nicht zulässig einzustufen.
März 2013: Das Finanzamt hat die Selbstanzeige schnell an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Dies ist unüblich – gültige Selbstanzeigen kann die Finanzverwaltung ohne Einschalten der Ermittlungsbehörde selbst abarbeiten. Am 20. März wird Hoeneß’ Anwesen am Tegernsee durchsucht. Ihm wird der Haftbefehl eröffnet, der gegen eine Kaution und Auflagen außer Vollzug gesetzt wird.
Juli 2013: Die Staatsanwaltschaft erhebt am 30. Juli Anklage gegen Hoeneß. Diese wird im November vom Landgericht München II unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. AFP/nd
Der Fall des vermeintlichen Gutmenschen Hoeneß ist tief. Egal, wie der Prozess wegen Steuerhinterziehung an der 5. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München II endet - die sportliche und wirtschaftliche Sonderstellung des FC Bayern München ist mit seinem langjährigen Manager und jetzigen Vereinspräsidenten eng verbunden. Ausgekocht pöbelte der durch eine Wurstfabrik reich gewordene 62-Jährige gegen jeden, wenn es dem Verein sportlich nützte. Und verschaffte sich Respekt in der internationalen Fußballwelt. In Notfällen war er oft zur Stelle. Selbst beim »Klassenfeind« FC St. Pauli dankte man ihm lange, dass er vor einem Jahrzehnt zur Rettung des Pleiteklubs beitrug. Aber der einstige Weltmeister aus dem Bayern-Starensemble der 1970er Jahre könnte ausgerechnet über den Fußball stolpern.
Im Strafprozess vor dem Landgericht geht es um mehr als »nur« Steuerehrlichkeit. Es geht um Millionen, die angeblich auf seinem Schweizer Konto lagen, ohne dass Hoeneß dafür Steuern in Deutschland zahlte. Als Quelle des vielen Geldes gilt Robert Louis-Dreyfus, Sprössling der gleichnamigen französischen Industriellendynastie, deren Interessen von Getreidespekulation über Schiffbau bis zu Sportartikeln (Adidas) reichen. Robert kaufte sich den skandalumwitterten Champions-League-Sieger Olympique Marseille als Spielzeug, war Vorstand bei Standard Lüttich. Kurzum, er war ein Hansdampf in allen Gassen - wie Hoeneß. Diesem soll er im Jahr 2000 fünf Millionen Mark angeblich für Börsenspekulationen direkt gezahlt haben, für viele weitere Millionen bürgte er. Wenig später stieg Adidas, dessen Chef Louis-Dreyfus war, beim FC Bayern ein. Bis heute rüstet Adidas die populäre Werbe-Ikone aus, ist mit rund zehn Prozent an dem Münchner Fußballkonzern beteiligt.
Ist dies der Grund, warum der Aufsichtsrat der FC Bayern München AG in Sachen Hoeneß bislang stillhält? Obwohl die Nicht-Abberufung des geständigen Steuerhinterziehers offensichtlich gegen die eigenen »Regeln der guten Unternehmensführung« verstößt. Auch die VW-Tochter Audi hält Anteile an der nicht börsennotierten Aktiengesellschaft. Und im Februar zahlte die Allianz 110 Millionen Euro für eine Bayern-Beteiligung. Im Aufsichtsrat sitzen neben VW-Chef Martin Winterkorn und dem jetzigen Adidas-Boss Herbert Hainer auch der Vorstandsvorsitzende des Hauptwerbepartners Deutsche Telekom, Timotheus Höttges. Der Bayern-Aufsichtsrat betonte vorsorglich, es gebe »kein Amtsverbot wegen einer strafrechtlichen Verurteilung«.
Hoeneß dürfte sich nicht groß von anderen dicken Fischen unterscheiden - Steuerflucht in die nahe Nachbarschaft war bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise beliebt und nahezu ohne Risiko. Erst die mediengerechte Festnahme von Postchef Klaus Zumwinkel im Jahr 2008 samt Verurteilung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe leitete die Wende ein. Anders als Hoeneß heute trat Zumwinkel von seinem lukrativen Posten zurück. Solche Fälle und die ausufernden Staatsschulden führten in der Politik zum Umdenken. Druck aus den USA und durch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf die schweizerischen Großbanken UBS und Credit Suisse half, den Verkehr auf den Autobahnen des Schwarzgeldes erheblich zu stören. Mehr jedoch nicht - alte »Paradiese« wie einige US-Bundesstaaten, britische und französische Ferieninseln aber auch neue wie Hongkong, Panama oder Israel versuchen, das aus der Schweiz oder Liechtenstein abwandernde Schwarzgeld aufzunehmen.
In Deutschland begannen die Behörden 2010 mit dem Kauf gestohlener CDs aus Banken in der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg. Doch bis zum Dezember 2012 hofften Steuerhinterzieher auf ein moderates Abkommen mit der Schweiz, das ihnen eine anonyme Nachversteuerung erlaubt hätte. Der Deal scheiterte an Einsprüchen vor allem SPD-regierter Bundesländer und der Linkspartei. Seither boomen die Selbstanzeigen beim deutschen Fiskus, die höhere Strafen verhindern sollen.
In den Kreis der Selbstanzeiger gehört auch Hoeneß. »Ich hatte all die Jahre ein schlechtes Gewissen«, wehklagte der 62-jährige, der immer mit den Medien zu spielen wusste, in einem Zeitungsinterview. Deshalb habe er seinerzeit Steuerfachleute beauftragt, die Sache ins Reine zu bringen. »Sollte es Fehler gegeben haben, habe ich diese nicht persönlich begangen.« Zuletzt schwieg Hoeneß, erklärte aber, wegen der drohenden Konsequenzen auch für seine Frau und Kinder könne er den Gedanken an eine Inhaftierung »nicht zulassen«.
Gleichwohl setzt der Fußballmanager auf Straffreiheit - dank seiner Selbstanzeige. Allerdings könnte diese zu spät eingereicht worden sein. Das Münchner Landgericht würde dann erstmals darüber entscheiden, wie eine fehlgeschlagene Selbstanzeige in Steuerfragen strafrechtlich zu bewerten ist. Das Verfahren dürfte auf jeden Fall noch vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-WM in Brasilien abgeschlossen sein, möglicherweise urteilt Richter Rupert Heindl aber schon an diesem Donnerstag. Das juristische Spiel dürfte dann in die Verlängerung gehen: Egal ob nun die Staatsanwälte oder der Angeklagte verlieren - Beobachter rechnen mit einem Revisionsverfahren.
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