Nürnberg unter gelb-rotem Konfettiregen

Portugiesen, Niederländer und ein hilfloser Schiedsrichter machen aus einem Fußballspiel ein Kartenspiel

Erinnert sich noch irgendjemand? Es war ein wirklich feines Tor, mit dem der Portugiese Maniche am Montagabend die Achtelfinalpartie gegen die Niederlande entschied: 23. Minute, Cristiano Ronaldo erkämpft sich den eben verlorenen Ball zurück, passt zum Brasilano-Portugiesen Deco, der bedient Stürmer Pauleta, welcher wiederum zum heranlaufenden Maniche im Strafraum ablegt. Mit einer kleinen Finte und einem blitzschnellen Schuss markiert der Mittelfeldspieler von Chelsea London jenen Treffer, der Portugal zum ersten Mal seit 1966, zum ersten Mal seit den Zeiten eines Eusebio, ins WM-Viertelfinale einziehen ließ. »Wir wollen die WM gewinnen«, jubelte Maniches Teamkollege Miguel nach einem verdienten 1:0 (0:0), »den Traum lassen wir uns nicht mehr nehmen.«
Vom Achtelfinal-Kampf der großen europäischen Fußballnationen indes wird nicht dieses Tor in Erinnerung bleiben, sondern vor allem diese Trauben aus Spielern und Betreuern, in deren Mitte Schiedsrichter Walentin Iwanow ständig an der Brusttasche seines Schiedsrichter-Hemdes nestelte, um am Ende die gelbe Karte gezückt zu haben. Vier Mal zog der Russe zusätzlich noch die Rote Karte. Der Rekord von 2002, als es bei Deutschland gegen Kamerun 16 Karten gab, wurde eingestellt.
Ein trauriger Superlativ, für den sich die beiden Trainer am Ende gegenseitig die Schuld gaben. »Es war so hart wie in Südamerika beim Copa Libertadores. Aber wir waren zumindest fairer als die Holländer«, sagte Portugals brasilianischer Trainer Felipe Scolari, während der vom Ausscheiden geschockte Marco van Basten beklagte, es sei schade, »dass so wenig Fußball gespielt wurde. Fast jede Minute ein Pfiff, ein Foul, eine Verletzung, es war eine Farce. Der Schiedsrichter war überfordert.«
In dem gelb-roten Kofettiregen, der in der Nürnberger Arena auf die Spieler niederging, hatten scheinbar beide Trainer vergessen, dass Iwanow zwar tatsächlich zuweilen zweierlei Maß anlegte und die Übersicht verlor, allein: Die wirklich unschönen Aktionen kamen von den erhitzten Akteuren.
In Erinnerung wird bleiben, wie brutal Khalid Boulahrouz gegen Cristiano Ronaldo einstieg und erst viel später endlich vom Platz musste. Oder wie oft die Oranje-Stürmer Dirk Kuyt und Arjen Robben Schwalben produzierten, wie theatralisch Figo nach einem Ellenbogenstoß auf dem Boden liegen blieb, genauso später sein unsicherer Torwartkollege Ricardo. Und wie van Bommel erst Sekunden nach einem soften Kopfstoß Figos in großer Geste zu Boden sank. Ein Kartenspiel, eine Schmierenkomödie, in der zwei offensiv ausgerichtete Teams so wenig Fußball spielten, dass die Nachspielzeit bei einem guten Referee 10 Minuten betragen hätte. Sechs Minuten gab Iwanow, er irrte auch hier, zum Glück: Gebessert hätte sich nichts mehr.
Womöglich hätten Portugals Coach Scolari am Sonnabend gegen England noch mehr Spieler gefehlt als die gesperrten Deco und Costinha. »Es sind nur zwei von 23 Spielern. Damit werde ich klarkommen«, meinte Scolari, der glaubt, dass Ronaldo bis zum Spiel wieder fit ist. »Diese Mannschaft zeigt einen Willen, wie ich ihn bei Portugal noch nie erlebt habe.«
Fehlen wird ab dem Viertelfinale sicher der hilflose russische Referee. Nach der zweiten Schiedsrichter-Blamage dieser WM - der Engländer Graham Poll zeigte vorher einem Spieler drei mal Gelb - wird Iwanow wohl keine weitere Nominierung bekommen.
Der Druck, den die FIFA auf die Unparteiischen ausübt, war beiden zu groß. »Der Schiedsrichter war nicht auf dem Niveau der beiden Mannschaften«, meldete sich FIFA-Boss Joseph Blatter zu Wort.
Auch diesem Statement fehlte etwas die Klasse. Als Chef eines Weltverbandes trägt man schlussendlich die Verantwortung auch dafür, wer für einen auf dem Fußballplatz arbeitet.

Portugal: Ricardo - Miguel, Fernando Meira, Ricardo Carvalho, Nuno Valente - Costinha, Maniche - Figo (84. Tiago), Deco, Cristiano Ronaldo (34. Simão) - Pauleta (46. Petit).
Niederlande: van der Sar - Boulahrouz, Ooijer, Mathijsen (56. van der Vaart), van Bronckhorst - van Bommel (67. Heitinga), Sneijder, Cocu (85. Vennegoor of Hesselink) - van Persie, Kuyt, Robben.
Tor: 1:0 Maniche (23.). Schiedsrichter: Iwanow (Russland). Zuschauer: 41 000 (ausverkauft).
Gelb: Nuno Valente, Ricardo, Maniche, Petit, Figo / van Bommel, van der Vaart, Sneijder.
Gelb-Rot: Costinha (45.+1/Handspiel), Deco (78./Unsportlichkeit) / Boulahrouz (63./wiederholtes Foulspiel), van Bronckhorst (90.+5/wiederholtes Foulspiel).
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