Wenn die Hochschule zur Firma wird

An der Exzellenz-Universität Bremen soll ein kritisches Seminar gestrichen werden - Studierende protestieren

  • Birgit Gärtner
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Universitätsseminar, bei dem die Studierenden den Themenmix selbst wählen? Kann weg, meint man in der Chefetage der Universität Bremen, die einmal als linke Lehreinrichtung bekannt war.

Einst galt die 1971 gegründete Universität in Bremen als linke Kaderschmiede - 2012 wurde sie zur Exzellenz-Universität ernannt: Forschung Seite an Seite mit der Industrie statt kritischer Wissenschaft, denn die könnte wohl störend wirken bei der Einwerbung von Drittmitteln. Das bekam der Physiker Fritz Storim jetzt zu spüren: Ein von ihm geleitetes philosophisches Seminar wurde ersatzlos gestrichen. Doch die Studentinnen und Studenten wollen sich diesen Raum für kritisches Hinterfragen von Gesellschaft und Wissenschaft nicht einfach so nehmen lassen.

Der Atomphysiker Jens Scheer war einer der Gründer der Universität Bremen. Wie viele Lehrende seinerzeit stand er für eine linke Tradition. Das brachte ihm 1975 ein Berufsverbot ein, gegen das er bis Mitte der 1980er Jahre kämpfen musste. Seit Anfang der 1990er Jahre leitete er gemeinsam mit dem Physiker Fritz Storim, mit dem er auch in der Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz Bremen (MAUS) zusammen arbeitete, ein wissenschaftskritisches Seminar, das Storim und andere Aktive der MAUS nach Scheers Tod fortführten. »(Neue) Technologien, Menschenbild und Ethik vor dem Hintergrund der Liberalisierungs- und Globalisierungs-Offensive« lautet der etwas sperrige Titel des Seminars aus den letzten Semestern. Anliegen ist es dabei, die Studentinnen und Studenten zu kritischer Reflexion anzuregen, anhand von Themen die ihnen am Herzen liegen. Das kann mal das Thema Atomkraft sein, mal neue Medien oder auch Sexismus im HipHop.

1971 gegründet
Die Universität Bremen wurde 1971 gegründet, rund 23 000 Menschen lernen, lehren, forschen und arbeiten derzeit dort. Sie ist bundesweit eine von elf Universitäten, die sich Exzellenzuniversität nennen dürfen. Sie gilt als besonders stark in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie den Sozial- und Geisteswissenschaften. nd

 

Zu larifari, befand eine Studentin, und beschwerte sich beim Institut für Politikwissenschaften, wo das Seminar angesiedelt ist. Diese Beschwerde wurde zum Anlass genommen, das Seminar aus dem Programm zu streichen. Offiziell unterdessen mit der Begründung, Storim sei Naturwissenschaftler und kein Pädagoge. Der fachfremde Einsatz von Lehrenden stelle die Qualität der Lehre in Frage.

Die Qualität der Lehre - darauf lässt die Exzellenz-Universität nichts kommen, schließlich ist das die Voraussetzung für Drittmittel: 91,4 von insgesamt 278,5 Millionen Euro fließen aus der Privatwirtschaft in die Kasse der Lehreinrichtung. Damit nimmt sie bundesweit Platz 5 bei der Einwerbung von Drittmitteln ein.

»Die Uni wird immer mehr zur Firma«, kritisiert Storim gegenüber »nd«. »Sie muss sich verkaufen können, da ist für kritische Wissenschaft kein Platz.« Die Streichung des Seminars kommt für ihn »einer Art Berufsverbot« gleich, schließlich sei es das letzte, indem die Studierenden sich aktiv einbringen und über aktuelle Fragen von Gesellschaft und Wissenschaft diskutieren könnten. »Und genau das ist nicht mehr gewollt.« Auch den Vorwurf, sich auf wissenschaftlich fremdem Terrain zu bewegen, findet Storim völlig aus der Luft gegriffen. Das Seminar werde in insgesamt neun Fachbereichen anerkannt, unter anderem auch in Informatik.

Offenbar ist das Seminar trotz der Beschwerde einer Absolventin bei den Studentinnen und Studenten sehr beliebt. Ihnen gefällt gerade dieser selbst gewählte Themenmix, der die Möglichkeit garantiert, sich selbst einbringen zu können. In der vergangenen Woche reichten sie beim Fachbereichsrat Sozialwissenschaften den Antrag ein, das Seminar auch künftig fortzusetzen.

»Für mich war das Seminar von Fritz Storim eines der wichtigsten Seminare in meinem Bachelor-Studium«, erläuterte eine Studentin den Antrag. »Wir sollten eine 90-minütige Sitzung selbstständig vorbereiten und moderieren … In keinem anderen Semester an der Uni habe ich mich so intensiv in ein Referatsthema eingearbeitet - unter anderem weil ich mich ansonsten nur damit beschäftigt habe, weil es in irgendeinem Lehrplan stand.« Die Stärke Storims sei es, so die Studentin weiter, »die Themen immer wieder in den Gesamtzusammenhang zu stellen und nach der eigentlichen Ursache der Probleme zu fragen.«

Der Fachbereichsrat beschloss daraufhin, den Antrag an die zuständige Studienkommission zu verweisen. Diese Möglichkeit wollen die Studentinnen und Studenten nutzen, und auch dort persönlich erscheinen, um für das Seminar zu kämpfen. Allerdings war zunächst nicht klar, wann die Studienkommission tagen wird. Vermutlich erst nach Beginn des nächsten Semesters. Laut Storim wäre es dann aber trotzdem noch möglich, das Seminar rückwirkend in den Lehrplan aufzunehmen.

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