Von Hummeln und Mauerspechten

Der Knabe Verlag Weimar, einer der bekanntesten DDR-Kinderbuchverlage, wurde 2006 wiedergegründet - nun kommt die erste Neuerscheinung

  • Danuta Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.
»Knabes Jügendbücherei« war in der DDR ein Begriff: Über 250 Titel erschienen in dieser Reihe des Knabe Verlags Weimar. Nun kommt im wiedergegründeten Verlag der erste Band nach 30 Jahren heraus.

»An einem Sommerabend des Jahres 1730 saßen in der Fuhrmannsschenke zum Freudenthal nahe der Burgruine Gleichen einige Männer. Auf den ersten Blick mochten sie als ehrbare Fuhrleute erscheinen. Bis auf einen trugen alle den dunkelblauen, langschössigen Rock, die übliche Kluft der Thüringer Frachtfuhrmänner…« So beginnt das Jugendbuch »Der Schmied von Burg Gleichen«, eine Abenteuererzählung aus dem 18. Jahrhundert, 1979 gedruckt und verlegt in »Knabes Jugendbücherei« in Weimar. In diesem Jahr erscheint das erste neue Buch aus dem 2006 wiedergegründeten Verlag. Verlagschef ist heute Steffen Knabe, der Urenkel des Verlagsgründers Karl Friedrich Knabe.

Zum siebten Mal ist der »Knabe Verlag Weimar« auf der Leipziger Buchmesse. Steffen Knabe kommt mit dem »Knabe-Mobil«, einem italienischen Piaggio mit selbst eingebautem Bücherregal. Er bringt die erste Neuerscheinung in der Reihe Knabes Jugendbücherei nach 30 Jahren mit: »Mauerspechte« heißt der 258. Band, gebunden in Pappe und Halbleinen, mit Fadenheftung, hochwertigem Papier, Lesebändchen. Die Handlung: Willem Kaisers Welt gerät aus den Fugen: Seine Freundin Paula ist aus dem Ungarn-Urlaub 1989 nicht zurück gekommen, in den Straßen große Demos, er trifft auf neue Westberliner Kids und die Russlanddeutschen Anton und Boris. Sie gehören zur »Mauer-Power-Bande«, die eine ausgeklügelte Geschäftsidee hat: Mauerstücke sind viel Geld wert und die vier kommen darauf, auch alte Häuser abzuklopfen. Der Autor Reinhard Griebner ist kein unbeschriebenes Blatt. Bereits zu DDR-Zeiten verfasste der Berliner Kinderbücher, viele Jahre war er Fernsehredakteur beim rbb, Ressort Zeitgeschehen.

Steffen Knabes Urgroßvater, Karl Friedrich Knabe, gründete mit seinen beiden Söhnen Wolfgang und Gerhard Knabe im Jahr 1932 den Verlag »Weimarer Druck- und Verlagsanstalt Gebrüder Knabe«. Knabenkraut, eine wilde Orchidee, und eine Hummel, dienten als Vorlage für das Logo. Hummel, so wurde die Frau des Urgroßvaters liebevoll genannt. Anfangs waren es Arzneibücher, danach einheimische Belletristik. Erst nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 bekam der Verlag in Weimar eine Lizenz für Kinderbücher, später wurde der Gebr. Knabe Verlag das Aushängeschild für Jugendliteratur in der DDR.

Knabes Jugendbücher waren Kult. Besonders Erzählungen, Romane und historische Biografien wurden für weniger als vier DDR-Mark gehandelt, aufgrund kleiner Auflagen meist unterm Ladentisch. Großes Abenteuer, viel Spannung, Geschichte, wie sie kein Geschichtslehrer vermitteln konnte: Zum Beispiel das Leben des Schmiedes von Burg Gleichen, mit den für den Verlag typischen Tuschezeichnungen - spielerisch wird erzählt, was wirklich passiert ist: die Suche des preußischen Soldatenkönigs nach Rekruten und die Geschichte eines findigen Schmieds, der immer wieder entkommt.

Mehr als 150 Autoren, Illustratoren und Lektoren arbeiteten für den Verlag. Hans-Joachim Malberg, der selbst Bestseller schrieb (»Knurks hat doch ein Herz«), war ab 1950 Cheflektor des Hauses. Er hatte ein Händchen fürs Netzwerken: Er holte gute Autoren, viele vom Literaturinstitut »Johannes R. Becher« in Leipzig, aber auch Thüringer wie den aus Nordhausen stammenden Alexander Jesch oder die Altenburgerin Herta Fischer, eine Buchhändlerin. Malberg, der selbst aus einer Offiziersfamilie stammte, stellte Kontakte zu Illustratoren und Künstlern der Weimarer Malschule her, zum Beispiel zu Fritz Lattke. Mehr als 300 Buchtitel erschienen bis 1984 im Verlag. Danach wurde der Verlag verstaatlicht.

2006 gründete Steffen Knabe mit 29 Jahren den Verlag neu, es gab nichts als ein paar Schriftstücke. Das Archiv ist verschollen. Der junge Verleger findet die Bücher seiner Vorfahren heute auf Flohmärkten, in Antiquariaten, bei ebay. »Manche bringen uns auch ihre alten Bücher im Verlag vorbei.«

Steffen Knabe hat sich seither einen umfangreichen, museumsreifen Bestand aufgebaut: zerlesene, zerkaute oder von Kindern nachkoloriere Exemplare etwa, mit Stempeln, Ausleihkärtchen und Inhaltsangaben versehene Bibliotheksbücher bis hin zu ungelesenen, jungfräulichen Exemplaren, die maximal eine Autorensignatur oder eine Widmung für das beste Zeugnis der Klassenstufe enthalten. Oder einen Gruß der Patenbrigade. 2010 wurde dieser Bestand anlässlich einer Ausstellung über den Verlag im Weimarer Stadtmuseum öffentlich gezeigt.

Die meisten Autoren und Illustratoren von damals leben nicht mehr. Die Recherche nach den Nachkommen gestaltet sich als sehr kompliziert. Jedes Jahr erscheinen bis zu vier Reprints, also Neuauflagen historischer Bücher, Auflage maximal insgesamt 3000. Steffen Knabe schwärmt von Zeiten, als Bücher in der 13. Auflage gedruckt wurden und 250 000 Exemplare über - oder unter - den Ladentisch gingen.

Dabei war der studierte Medientechniker selbst nie eine Leseratte. Sein Lieblingsbuch ist ein typisches Jungenbuch, die Seefahrer-Geschichte »Die letzte Fahrt der Bark Alexander«. Doch die Arbeit mit Büchern ist zu seiner Passion geworden. Er hat große Pläne. Hörbücher will der 35-Jährige einlesen lassen: »Ich halte viel von einem gut vorgelesenen Buch.« Er will Nachwuchsautoren eine Chance geben und E-Books herausgeben.

Doch davon leben kann der Jungverleger nicht. Zehn Jahre hat der gebürtige Weimarer beim Radio als Promoter und Techniker am Ü-Wagen gearbeitet. Er sammelte auch Erfahrungen als Aufnahmeleiter für diverse Filmproduktionen. Dabei kam ihm die Idee, Fahrzeuge für Filmproduktionen zu verleihen und so gründete er vor acht Jahren ein Unternehmen, das Masken-Garderoben-Mobile für Filmdrehs in Mitteldeutschland verleiht. 15 Fahrzeuge gehören zu seinem Fuhrpark, er ist selbst oft dabei, wenn die Autos an den Drehort gefahren werden. Doch wenn die Buchmesse ansteht, gehört sein Herz vier Tage lang den Lesern der Bücher eines der letzten traditionsreichen Verlage Ostdeutschlands.

Der Knabe-Verlag ist auf der Leipziger Buchmesse in Halle 2 am Stand E 200 zu finden. Reinhard Griebner liest aus »Mauerspechte«: 15. März., 12 Uhr, Lesebude 1, Halle 2, Stand E 305.

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