Aufstände flammen auf - und dann?

Weder Faschisten noch Linke haben den Machtanspruch der korrupten ukrainischen Regierung in Frage gestellt, sondern die einfachen Menschen auf der Straße

  • Michael Ramminger
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Menschen, die auf dem Maidan in der Ukraine demonstrieren, gehören großenteils keiner Gruppe an. Eine Bewegung entsteht daraus nicht. Es gibt noch keine Form, die über den Aufstand hinausführt. Nicht in der Ukraine, nicht in Ägypten, Brasilien oder Istanbul.
Michael Ramminger, seit 30 Jahren Theologe und Internationalist. Hat etwa genauso lange schon was gegen Zäune und Grenzen; gehört zu dem, was man früher mal undogmatische Linke nannte. Obwohl Glaubenswahrheiten nicht immer schlecht sind. Besonders heute.
Michael Ramminger, seit 30 Jahren Theologe und Internationalist. Hat etwa genauso lange schon was gegen Zäune und Grenzen; gehört zu dem, was man früher mal undogmatische Linke nannte. Obwohl Glaubenswahrheiten nicht immer schlecht sind. Besonders heute.

Als vor knapp zwei Wochen in den mainstream-Medien endlich die ersten Meldungen über die Rolle faschistischer, nationalistischer und rechter Organisationen und Gruppen bei den Protesten auf dem Maidan-Platz in der Ukraine auftauchten, kam doch irgendwie Beruhigung in der linken Seele auf: Lässt sich also doch nicht ganz unterdrücken: Die Partei der Freiheit, der rechte Block, ihre gewalttätigen Schläger und Scharfschützen, die Verbindungen zu den Neocons in den USA. Absurderweise, obwohl die ukrainische Rechte eigentlich anti-westlich orientiert ist, einige von ihnen sogar mit Islamisten zusammen gekämpft haben.

Und dann die offensichtlich imperialen EU-Interessen im Wettstreit mit den nicht anders gelagerten Begehrlichkeiten der USA. Und die selbstverständlich jetzt angesichts der vollzogenen Abspaltung der Krim »Völkerrechtsverletzung« schreien, was ihnen im Kosovo und sonstwo auch immer völlig egal war und die sich historisch ignorant gefährlich an eine militärische Konfrontation mit Russland heranlabern – was auch immer man von Putin hält.

Die Interessenfrage rückt die Wahrheitsfrage in den Hintergrund, nochmal Glück gehabt.
Genauso scheint es auch in Teilen der radikalen Linken zu sein, wenn man sich mal da anguckt, womit sich eigentlich im Kontext der Ereignisse von Kiew beschäftigt wird: Da sind die großen geopolitischen Auseinandersetzungen durch die Straßenkämpfe zwischen Faschisten und Linken ersetzt: Soundsoviele verhaftete Anarchisten, Reportagen über einen verschwundenen großen Antifaschisten und Che-Guevaristen, rechte Bilderstürmereien auf Statuen der (heroischen?) Vergangenheit usw. »Ukraine, aktuell: Nazi-Freikorps schiessen auf zivilen Widerstand linker Aktivist*innen, Polizei der neuen Putschregierung laesst ihnen freie Hand« (Martin Kraemer Liehn auf Indymedia).

Ja, das ist alles, naja, vielleicht nicht alles, richtig. Wie groß der Einfluss der Faschisten und Rechten ist und bleiben wird, hängt ja nicht zuletzt auch von der EU ab; ob es 10, 20 oder 30 Prozent der ukrainischen Bevölkerung sind, die rechtspopulistische Partei Swoboda und andere unterstützen oder dazugehören, kann nicht sicher entschieden werden.

Aber das alles ist gar nicht der springende Punkt. Fakt ist doch, dass weder die Rechte noch die Linke in der Lage gewesen wäre, den Machtanspruch dieser korrupten Regierung in Frage zu stellen. Wer auch immer diesen Aufstand für sich in Anspruch nimmt, ihn möglicherweise auch für sich entscheiden wird, muss sich damit abfinden, dass ein Großteil der Menschen auf dem Platz (oder auch schweigend in den Häusern) als Unorganisierte genau diesen Aufstand erst möglich gemacht hat, dieses Feld überhaupt erst eröffnet hat. Und das werden weder die Faschos noch Anarchist_innen gewesen sein: »Nein. Die Mehrheit der Gruppe, mit der ich hier stehe, ist in keiner der Parteien oder Gruppen. Ich sehe niemanden, der derzeit die Bewegung führen kann.« (Thomas Eipeldauer auf hintergrund.de)

Auch wenn die ersten Demonstrationen sich zunächst nur gegen den Ende Februar schließlich abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch und seine Ablehnung des Assoziationsabkommens an die EU richteten, so war darin doch auch von Anfang an das Verlangen nach einem Ende der Korruption und Bereicherung, einem Ende von Scheindemokratie und das Begehren nach wirklicher Partizipation enthalten. Wie ein Genosse zurecht schrieb: »Es bleibt das in der oligarchischen Kommandodemokratie unerfüllte Freiheitsversprechen, die irre Korruption und der Wunsch, dass etwas anders wird. Damit sollten wir uns beschäftigen.«

Damit müssen wir uns beschäftigen. Weil es nämlich die Erfahrung der letzten Jahre ist und vermutlich auch der kommenden Jahre sein wird: Aufstände flammen auf, richten sich gegen korrupte, autoritäre Herrschaft, rufen nach Freiheit und Gleichheit und werden zugleich wieder erstickt. Es gibt noch keine Form, keine Sprache, keine Organisation, die über den Widerspruch, über den Aufstand hinausführt. Nicht in der Ukraine, nicht in Ägypten, Brasilien oder Istanbul (von der BRD ganz zu schweigen). Das ist die bittere Wahrheit der Rede vom Ende der großen Erzählung, die uns noch verfolgt. Aber auch, wenn die Aufstände von noch so offensichtlichen Interessen okkupiert, belagert und umgedeutet werden: Sie sind der Ort unserer Stärke, aber auch unserer Schwäche zugleich. Man kann die Interessenfrage (wer erschießt wen und warum, wer bezahlt wen und warum) zur Wahrheitsfrage machen, wenn auch unsere Interessen wirklich organisiert sind, das heißt wenn uns der Zusammenschluss mit den unerfüllten Freiheitsversprechen gelingt. Sonst lässt man besser die Finger davon, die Geschichte wird einen blamieren.

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