Kleine Kriege im großen Konflikt
Nach Verhandlungen zwischen USA und Russland in London: Das Referendum findet statt / Spannung auf der Krim
Wie unlängst Kiew, so entledigte sich am Freitag auch das Parlament in Simferopol eines unerwünschten Symbols. War in der ukrainischen Hauptstadt der goldene fünfzackige Stern über der Werchowna Rada aus der Halterung gehämmert worden, so verschwand am Gebäude in der Krim-Hauptstadt das ukrainische Wappen.
Nicht nur um die Hoheit über die Symbole wird zwischen den beiden widerstreitenden Hauptstädten gestritten, sondern auch um die Informationen. Die Internetagentur Novoross.info richtete dafür die Rubrik »Krimfront des informationellen Widerstandes ein«. Hier heißt die Kiewer Regierung »Junta«. Die ukrainische Agentur Unian ihrerseits nennt die Mitglieder des Präsidiums des Krim-Parlaments »Separatisten«.
Der Konflikt um die Ukraine, Russland, USA, EU und Krim breitet sich immer weiter in den Alltag aus und vergiftet nicht nur die Politik. So wurde mitgeteilt, 347 Kabelanbieter hätten russisches Fernsehen aus dem Angebot genommen oder in teurere Pakete verfrachtet. Die staatliche Wasserversorgung erinnerte die Krim demonstrativ daran, dass sie ihr Wasser zu 85 Prozent über den Nord-Krim-Kanal aus der Ukraine bekomme. An eine Unterbrechung sei aber nicht gedacht, hieß es nur äußerlich beruhigend. »Denn sie würde eine Katastrophe bedeuten.«
Dieser suchten in anderen Maßstäben Russlands Außenminister Sergej Lawrow und sein US-Kollege John Kerry bei Gesprächen in London auszuweichen. Sie fingen bescheiden an. Lawrow beklagte eine »schwierige Situation«. Kerry wollte »einige unserer Differenzen« beilegen. Die größte war die Abspaltung der Krim von der Ukraine. Pressekonferenzen wurden Stunde um Stunde verschoben. Doch dann erklärte Lawrow: Das Referendum findet statt. Russland habe die Krise nicht verursacht.
Ein ranghoher Vertreter des US-Außenministeriums hatte vor den Gesprächen in London erklärt, die USA würden Russland das »bestmögliche Angebot für eine Deeskalation« unterbreiten. Dies gelte aber nur im Rahmen einer »geeinten und souveränen Ukraine«. Einen »Dreiklang« steuerte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei: Gespräche, Hilfen für die Ukraine und auch Sanktionen gegenüber Russland. Das Ergebnis der Volksabstimmung sei »irrelevant«.
Die Entwicklung im Osten der Ukraine ließ Besorgnisse wachsen. Nach blutigen Zusammenstößen zwischen prorussischen und proukrainischen Demonstranten in Donezk erklärte das Außenministerium in Moskau, Russland behalte sich das Recht vor, seine Landsleute in der Ukraine zu schützen. In der russisch geprägten Stadt Donezk hätten »Rechtsradikale friedliche Demonstranten« angegriffen. Die Eskalation mit einem Toten und 16 Verletzten zeige, dass die ukrainische Regierung die Lage nicht im Griff habe.
Das fürchten ihrerseits die Krim-Tataren. Deren Anführer Mustafa Dschemilew rief über AFP zum Boykott der Volksabstimmung auf. Die NATO solle, wie im Fall Kosovo militärisch auf der Krim intervenieren, um »ein Massaker« zu verhindern. Washington prüfe Anfragen der Ukraine auf militärische Unterstützung, hieß es unter Berufung auf das Pentagon. Eine endgültige Entscheidung zur Militärhilfe für Kiew sei noch nicht gefallen. Das »Wall Street Journal« hatte zuvor berichtet, die US-Regierung habe das Gesuch, Waffen und Munition in die Ukraine zu senden, vorerst abgelehnt, um die Spannungen mit Russland nicht anzuheizen. Das Hilfsgesuch fiel kaum zufällig mit dem Besuch des Chefs der ukrainischen Interimsregierung, Arseni Jazenjuk, in den USA zusammen.
Für zusätzliche Aufregung könnte ein neuer Hinweis auf die Todesschützen vom Kiewer Maidan sorgen. So verbreitete der russische TV-Auslandskanal Russia Today, die Scharfschützen hätten vom Dach der von der Opposition und dem »Kommandanten des Maidan«, dem heutigen Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Andrej Parubi, »vollständig kontrollierten« Philharmonie am Unabhängigkeitsplatz gefeuert. Als Zeugen zitierte der Sender Alexander Jakimenko, früherer Chef des ukrainischen Sicherheitsdienstes. Bei den Anschlägen, die Dutzende Demonstranten und Sicherheitskräfte das Leben kosteten, sollen US-Spezialkräfte die Einsätze koordiniert haben.
Die russischen Behörden leiteten zudem Verfahren gegen führende ukrainische Nationalisten ein. Der Chef der rechten Partei Swoboda (Freiheit), Oleg Tjagnibok, solle sich wegen der Teilnahme an Kämpfen gegen russische Soldaten in der Kaukasus-Republik Tschetschenien Mitte der 90er Jahre verantworten, teilte der Vorsitzende des Ermittlungsausschusses, Wladimir Markin, in Moskau mit. Das Verfahren richte sich auch gegen den Chef der rechtsextremen Partei Prawy Sektor, Dmitro Jaroch. Mit Agenturen
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.