»Nennen Sie es Ergebnis-Fußball«

Trainer Oleg Blochin erkennt nach dem Achtelfinalsieg in der Schweiz eine »zweite Ukraine«

  • Lesedauer: 3 Min.
120 Minuten lang schaffte die Schweiz kein Tor in einer niveauarmen Achtelfinalpartie gegen die Ukraine. Es war ein quälend langweiliges, von Fehlern gespicktes Spiel - das schwächste Achtelfinale bis dahin. Wenigstens gab es am Ende einen unterhaltsamen Showdown. »Aber auch in dem unsäglichen Elfmeterschießen haben wir es versäumt, zu treffen«, klagte der Schweizer Trainer Jakob Kuhn später. Erst schoss Marco Streller in die Arme des Ukraine-Keepers, dann traf Tranquillo Barnetta nur die Latte, ehe schließlich Ricardo Cabanas an Schowkowski scheiterte. Bei der Ukraine vergab Milan-Star Andrej Schewtschenko gleich den ersten Elfer. Schließlich aber trafen Artjom Milewski, Sergej Rebrow und Oleg Gusew - 3:0 im Elfmeterschießen. Nach dem Sieg stellte sich gut gelaunt wie selten der ukrainische Trainer Oleg Blochin (in den 70er Jahren gefeierte Stürmerlegende in der sowjetischen Nationalmannschaft) den Fragen der Journalisten.

Herr Blochin, wie geht es Ihnen nach diesem Erfolg?
Blochin: Ich muss gestehen, ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll, was mir durch den Kopf geht. Die meisten hatten uns schon abgeschrieben, insbesondere nach dem Spiel gegen Tunesien. Heute konnten Sie sich davon überzeugen, dass wir qualitativ guten Fußball spielen können. Beide Teams hätten den Einzug ins Viertelfinale verdient gehabt. Elfmeterschießen ist eben wie russisches Roulette.

Man hatte den Eindruck, dass Ihr Team sehr konservativ spielt?
Was verstehen Sie unter konservativ? Andere Leute sagen, wir spielen gut. Wir spielen vorsichtig. Nennen Sie es Ergebnis-Fußball. Ach, schreiben Sie, was Sie wollen.

Nun geht es am Montag in Hamburg gegen Italien. Was für ein Spiel erwarten Sie?
Wir sind schon so weit gekommem, dass es uns manchmal wie ein Traum erscheint. Im Viertelfinale spielen alle gut, und die italienische Abwehr ist eine sehr sattelfeste. Es wird sehr schwer, überhaupt Torchancen herauszuspielen, daraus mache ich keinen Hehl.

Wann wussten Sie, das Elfmeterschießen sei unvermeidlich?
Irgendwann gegen Ende der Nachspielzeit wurde mir klar, dass Offensive nicht mehr lohnt. Da habe ich die Defensive verstärkt.

Während des Elfmeterschießens waren Sie verschwunden. Was haben Sie gemacht?
Ich bin in die Kabine gegangen. Ich musste mich zurückziehen, denn ich hielt es nicht mehr aus.

Was sagen Sie zu Schewtschenkos verschossenem Elfer?
Was sagen Sie? Schewtschenko hat nicht getroffen? Ach was, das wußte ich ja gar nicht. Nein, nein, jetzt mal Scherz beiseite. Ich habe keine Zweifel an Schewtschenkos Leistung, und seinen Elfer habe ich wirklich nicht gesehen. Nach den 120 Minuten Anspannung hatte ich einfach genug. Ich habe nur gesagt: Leute, macht das unter Euch aus, wer schießt. Wer will, der soll halt schießen.

Wie sah Ihr taktischer Plan gegen die Schweiz aus?
Wir haben die Räume im MIttelfeld eng gemacht und die Schweizer immer weiter zurückgedrängt. Es war unsere taktische Priorität, den Gegner zu drosseln. Aber wir haben auch eine Menge dumme Fehler gemacht und hätten genauso gut ein Tor kassieren können. Die Schweiz war stark. Wir hatten das schon vorher gewusst. Ihr taktisches Modell ähnelte unserem. Wir haben eigentlich gegen eine »zweite Ukraine« gespielt.

Notiert: Jirka Grahl, Köln 


Schweiz: Zuberbühler - Philipp Degen, Djourou (34. Grichting), Müller, Magnin - Barnetta, Cabanas, Vogel, Wicky - Yakin (64. Streller), Frei (117. Lustrinelli).
Ukraine: Schowkowski - Gussew, Waschtschuk, Gussin, Nesmatschni - Timostschuk, Schelajew, Kalinitschenko (75. Rotan) - Worobej (94. Rebrow), Woronin (111. Milewski), Schewtschenko.
Elfmeterschießen: Schewtschenko gehalten, Streller gehalten, 0:1 Milewski, Barnetta verschossen, 0:2 Rebrow, Cabanas gehalten, 0:3 Gussew. Schiedsrichter: Archundia (Mexiko). Zuschauer: 45 000 (ausverkauft).
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