»Wir kehren nach Hause zurück«
Dem Jubel über das Referendumsergebnis auf der Krim folgt die Teilmobilmachung in der Ukraine
Mal »Frühling auf der Krim«, mal »Glückliche Krim« - der mit Laserstrahlen an die Fassade des Ministerratsgebäudes in Simferopol geworfene Schriftzug wechselte am Sonntagabend mehrfach. Davor, auf dem Lenin-Platz, hatten sich Tausende jubelnde Bewohner der Krim-Hauptstadt unter Russland-Flaggen und Krim-Bannern versammelt. »Heute empfinden wir alle ein Gefühl des Sieges«, sagte einer, der sogar eine Sowjetflagge schwenkte, »die Flagge meiner Kindheit«.
Das alles erweckte nicht den Eindruck, als seien die Bewohner der Halbinsel mit vorgehaltenen Gewehrläufen und Panzerkanonen zur Abstimmung über die Zukunft der Krim getrieben worden. Auch wenn sich deutsche Fernsehkorrespondenten für ihre Berichte demonstrativ vor einen Panzer stellten, offensichtlich ein Denkmal zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg.
Am Montagmorgen gab Michail Malyschew, Chef der Wahlkommission, das offizielle Ergebnis der Volksabstimmung vom Vortag bekannt: 1,274 Millionen Wähler, 83,1 Prozent der Stimmberechtigten, hätten sich am Referendum beteiligt. 96,77 Prozent davon hätten sich für den Beitritt zur Russischen Föderation entschieden. Für die Rückkehr zur Verfassung von 1992, die für die Krim-Republik weitgehende Selbstbestimmung im Bestand der Ukraine vorsah, sprachen sich nach offiziellen Angaben nur etwa 32 000 Referendumsteilnehmer aus - 2,5 Prozent.
An der Abstimmung, behauptete Regierungschef Sergej Aksjonow, hätten sich auch mindestens 40 Prozent der Krimtataren beteiligt. Rifat Tschubarow, der Vorsitzende der Medschlis - Dachorganisation der Volksgruppe - bestritt das. Die Medschlis hatte zum Boykott des Referendums aufgerufen.
Die Führung der Krim-Republik ließ indes keine Zweifel zu und keine Zeit verstreichen. Das Parlament - in Staatsrat umbenannt - verkündete am Montag mit den Stimmen von 85 der nominell 100 Abgeordneten die Unabhängigkeit der Republik und bat die UNO um Anerkennung. Als unabhängiger Staat, so die Vorstellung, könnte die Krim mit Russland einen Vertrag über den Beitritt zur Föderation abschließen. Noch am selben Tag wollte Regierungschef Sergej Aksjonow in Begleitung mehrerer Minister und Parlamentsvertreter nach Moskau fliegen, um dort mit Kreml und Regierung über den weiteren Fahrplan für die »Wiedervereinigung« zu verhandeln. Am Vorabend hatte Aksjonow triumphierend verkündet: »Wir kehren nach Hause zurück.«
Das Parlament in Simferopol beschloss zugleich, dass sich die Krim am 30. März der Moskauer Zeitzone anschließt, die Uhren also zwei Stunden vorstellt werden. Der Rubel wurde zur offiziellen Währung auf der Halbinsel erklärt, die ukrainische Währung Hrywnja soll jedoch noch bis um 1. Januar 2016 als Zahlungsmittel akzeptiert werden.
Das Presseamt des russischen Präsidenten kündigte derweil an, Wladimir Putin werde am heutigen Dienstag um 15 Uhr Moskauer Zeit vor Abgeordneten beider Parlamentskammern, den Chefs der russischen Regionen und Vertretern der Zivilgesellschaft im Kreml eine Ansprache halten. Anlass sei die Bitte der Republik Krim und der Stadt Sewastopol um Beitritt zur Russischen Föderation. Am 21. März soll sich die Staatsduma mit dem Gesuch beschäftigen.
Während Krim-Premier Aksjonow hofft, alle Formalitäten in zwei Wochen über die Bühne zu bringen, sind russische Politiker noch zurückhaltend. Sogar Wladimir Shirinowski, Chef der ultranationalen Liberaldemokraten, rechnet mit bis zu drei Monaten. Als sicher gilt jedoch, dass die Parlamente Russlands und der Krim den Beitrittsvertrag vor den ukrainischen Wahlen am 25. Mai ratifizieren. Denn nach dieser Wahl übernimmt in Kiew wieder eine demokratisch legitimierte Führung die Macht. Mit dem Hinweis auf die Illegitimität der durch die Straße ins Amt gehievten derzeitigen Machthaber hatte Russland Vorwürfe des Westens abgewiesen, das Referendum auf der Krim sei rechtswidrig.
Kritische Stimmen gibt es jedoch auch in Russland. Grigori Jawlinski, Mitbegründer der liberalen Jabloko-Partei, sprachen von einem »gefährlichen politischen Abenteuer«, dessen unmittelbare Folge sei, dass Russland zu einem Staat ohne jegliches Ansehen und mit international nicht anerkennten Grenzen werde. Absolut unzulässig sei der Einsatz russischer Truppen auf dem Gebiet der Ukraine. Andrej Piontkowski vom Institut für Systemanalyse der Russischen Akademie der Wissenschaften, argumentierte, Russland habe sich zusammen mit den USA und Großbritannien für die territoriale Integrität der Ukraine verbürgt, als Kiew nach dem Ende der Sowjetunion 1991 auf den Status einer Atommacht verzichtete. Und anders als in anderen Nachfolgestaaten der UdSSR sei die russischsprachige Bevölkerung der Krim nie in Gefahr gewesen und schon gar nicht diskriminiert worden.
Anders äußerte sich der letzte und einzige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow. ITAR-TASS zitierte ihn: »Die Leute (auf der Krim) wollen das - das heißt, man muss ihnen entgegenkommen.« Gorbatschow hatte bereits am Freitag daran erinnert, dass die Krise um die Ukraine eine Folge des Zusammenbruchs der UdSSR sei. »Ich habe vor den gefährlichen zerstörerischen Handlungen der damaligen russischen Führung gewarnt«, schrieb er in einem Brief auf seiner Internetseite. »Der Oberste Sowjet der Russischen Föderation nahm diese Zerstörung der Sowjetunion mit Applaus auf, ohne auch nur mit einem Wort an die Krim und Sewastopol zu erinnern.«
Die Werchowna Rada in Kiew beschloss indessen am Montag eine teilweise Mobilmachung. Armee, Nationalgarde und andere bewaffnete Verbände sollen »im Zusammenhang mit der Situation in der Autonomen Republik Krim« auf Kriegsstärke aufgestockt werden. Dafür stimmten 275 Abgeordnete aller Fraktionen mit Ausnahme der Kommunisten. Der Abgeordnete Oleg Ljaschko brachte einen Gesetzesvorschlag ein, der den Abbruch der diplomatischen Beziehungen und die Kündigung bestehender Verträge mit Russland fordert. Übergangspräsident Alexander Turtschinow hatte das Referendum auf der Krim als »große Farce« bezeichnet. Mit Agenturen
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