Ukrainischer Soldat auf der Krim getötet / Jazenjuk: Übergang zu einem «militärischen Konflikt»

Kiew warnt Weltgemeinschaft vor Anerkennung der Krim / Moskau plant offenbar Sanktionen gegen Washington

  • Lesedauer: 8 Min.

Berlin. Auf der zwischen der Ukraine und Russland umstrittenen Halbinsel Krim ist ein ukrainischer Soldat getötet worden. Wie das ukrainische Verteidigungsministerium am Dienstag bekanntgab, ereignete sich der Zwischenfall bei der Erstürmung einer Militärbasis in der Gebietshauptstadt Simferopol. Ein weiterer Soldat sei verletzt worden. Der zuständige Ministeriumssprecher machte keine Angaben darüber, ob der Stützpunkt von russischen Soldaten oder prorussischen Milizen angegriffen wurde.

Interimsregierungschef Arseni Jazenjuk sagte, der Konflikt mit Russland habe sich «von einem politischen in einen militärischen» verwandelt. «Russische Soldaten haben damit begonnen, auf ukrainische Armeeangehörige zu schießen, und das ist ein Kriegsverbrechen», sagte Jazenjuk bei einem Krisentreffen des Kabinetts in Kiew.

Marine-Kommandant Sergej Gajduk erklärte am Rande des Gesprächs, in den vergangenen Tagen hätten sich die Versuche «militärischer Einheiten» gehäuft, ukrainische Stützpunkte zu erstürmen. Insgesamt 38 ukrainische Militärstützpunkte auf der Halbinsel würden inzwischen von russischen Streitkräften blockiert. In der Krim-Hafenstadt Sewastopol ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert.

Merkel: Russland weiterhin G8-Mitglied

Trotz des Vertrags über den Anschluss der Krim ist Russland nach Angaben von Bundeskanzlerin Angela Merkel weiterhin Mitglied der G8-Gruppe. Merkel stellte am Dienstag in Berlin klar, dass die großen Industrienationen lediglich die Vorbereitungen für das diesjährige G8-Treffen im Juni in Sotschi suspendiert haben. «Darüber hinaus sind keine Entscheidungen gefallen», sagte die Kanzlerin. «Was G8 anbelangt, gibt es keinen neuen Sachstand.»

Merkel stellte damit Äußerungen von Frankreichs Außenminister Laurent Fabius klar, der über Twitter mittgeteilt hatte «(...) wir haben für die G8 entschieden, die Teilnahme Russlands auszusetzen». Ein Sprecher von Fabius bestätigte am Mittag in Paris ebenfalls, der Minister habe sich lediglich auf die Vorbereitungen für den nächsten Gipfel bezogen. Die G8-Gruppe besteht aus sieben großen Industrienationen (USA, Großbritannien, Japan, Kanada, Italien, Frankreich und Deutschland) sowie Russland.

Merkel kündigte zugleich an, den von Russlands Präsident Wladimuir Putin verkündeten neuen Status für die Krim nicht anzuerkennen. «Die Aufnahme in die russische Föderation ist nach unserer festen Auffassung gegen das internationale Recht», sagte die Kanzlerin nach einem Treffen mit Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho. «An dieser Veurteilung wird sich von unserer Seite nichts ändern.»

Ebenso wie Coelho sprach sich aber auch Merkel dafür aus, parallel zu den verhängten Sanktionen mit Russland in Kontakt zu bleiben. «Wir werden im Blick auf die Fragen, die in Zusammenhang mit der Ukraine stehen, neben den eingeleiteten Sanktionen auf Dialog setzen. Coelho sagte: »Niemand in Europa wird einen Nutzen ziehen, wenn letztlich kein Dialog mehr möglich wäre.«

Vertrag über Anschluss der Krim an Russland unterzeichnet

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Vertrag über die Aufnahme der völkerrechtlich zur Ukraine gehörenden Schwarzmeer-Halbinsel Krim unterzeichnet. Auch Vertreter der prorussischen Krim-Führung setzten am Dienstag im Kreml ihre Unterschriften unter das Dokument.

Putin: Krim-Referendum über Russland-Anschluss überzeugend

Der russische Präsident Wladimir Putin hat das Krim-Referendum über einen Anschluss an Russland als »überzeugend« bezeichnet. Es sei demokratisch und im Einklang mit internationalem Recht abgelaufen, sagte Putin am Dienstag bei einer Rede an die Nation im Kreml. Die Sondersitzung mit Parlamentariern begann unter tosendem Applaus und Ovationen. Putin hatte bereits kurz zuvor dem Vertrag über die Aufnahme der zur Ukraine gehörenden Schwarzmeerhalbinsel Krim zugestimmt. Der russische Präsident hat in seiner Rede drei gleichberechtigte Sprachen für die Krim angekündigt. Es wäre gerecht, wenn es in Zukunft drei gleichberechtigte Sprachen geben werde - Russisch, Ukrainisch und Krimtatarisch.

Die Übergabe der Krim an die Ukraine durch den sowjetischen Kremlchef Nikita Chruschtschow 1954 sei ein historischer Fehler gewesen, sagte Putin. Die Entscheidung sei »auf den Korridoren« getroffen worden, aber nicht einmal im Einklang mit der damaligen sowjetischen Verfassung gewesen. Die Menschen auf der Krim seien nur mit dem Fakt konfrontiert worden, sagte Putin.

Kiew warnt Weltgemeinschaft vor Anerkennung der Krim

Die ukrainische Übergangsregierung hat an die internationale Gemeinschaft appelliert, die Krim nach dem Referendum über deren Zukunft nicht als unabhängigen Staat anzuerkennen. Die Unabhängigkeit der Halbinsel am Schwarzen Meer sei »unter grober Verletzung europäischer Normen von einem unrechtmäßigen Organ ausgerufen« worden, erklärte das Außenministerium in der Hauptstadt Kiew am Dienstag. Das Völkerrecht verbiete es, »Pseudostaaten« und alle damit zusammenhängenden Beschlüsse anzuerkennen.

Verheugen: Das Problem liegt in Kiew

Der ehemalige EU-Erweiterungskommissar, Günter Verheugen (SPD), hat die Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine im Konflikt mit Russland scharf kritisiert. »Das Problem liegt eigentlich gar nicht in Moskau oder bei uns. Das Problem liegt ja in Kiew, wo wir die erste europäische Regierung des 21. Jahrhunderts haben, in der Faschisten sitzen«, sagte Verheugen am Montag im WDR 5. Im Deutschlandfunk ergänzte er am Dienstag, dass mit der Partei Swoboda Faschisten beteiligt wurden, sei ein »Tabubruch«. Noch sei es nicht zu spät, um den Konflikt zwischen Russland und dem Westen zu lösen.

»Was die jetzige Situation so schwierig macht«, so Verheugen, »hat ja eine Ursache auch in Kiew selber, nämlich die Tatsache, dass dort ein fataler Tabubruch begangen worden ist, dem wir auch noch applaudieren, der Tabubruch nämlich, zum ersten Mal in diesem Jahrhundert völkische Ideologen, richtige Faschisten in eine Regierung zu lassen, und das ist ein Schritt zu weit.« Verheugen sagte weiter, es könne »überhaupt keinen Zweifel geben«, dass die Partei Swoboda »getrieben von Russen-Hass, von Juden-Hass und Polen-Hass« sei. »Es ist schierer Nationalismus, überzogener exzessiver Nationalismus. Sie rufen nach Atomwaffen für die Ukraine. Sie halten auch die Europäische übrigens nicht für ein erstrebenswertes Ziel, sondern die halten die Europäische Union für ein künstliches Gebilde, das sowieso zum Absterben verurteilt ist.« Verheugen wehrte sich »gegen diese verharmlosende These, es sind ja nur ein paar« Personen in der neuen Kiewer Regierung. »Diese Sache mit der Einbindung von radikalen Kräften ist in der europäischen Geschichte schon mehr als einmal ganz, ganz furchtbar schief gegangen. Das sollten wir nicht vergessen«, so der SPD-Politiker. Man müsse der Kiewer Regierung »ganz klar machen«, dass »das Bündnis, das sie geschmiedet haben, unter Einbeziehung undemokratischer rechtsradikaler Kräfte« für Europa »nicht hinnehmbar« sei. »Das ist ein Aspekt, der in unserer öffentlichen Debatte, finde ich, unterbewertet wird.« Er bleibe dabei, so Verheugen, »dass wir keinen Millimeter zurückweichen dürfen, wenn es darum geht, keine Kräfte in europäischen Regierungen zuzulassen, die aus unserer Geschichte nicht das Geringste gelernt haben«.

Tusk: Kein neues Jalta

Der polnische Regierungschef Donald Tusk hat angesichts der Entwicklung auf der Krim eine entschiedenere Haltung der EU und der USA gefordert. »Wir dürfen keinesfalls zulassen, dass die internationale Gemeinschaft durch ein «neues Jalta» die Annektion der Krim akzeptiert«, sagte Tusk am Dienstag in Warschau. Die euroatlantische Gemeinschaft müsse stärker auftreten als bisher. Die Ukraine wird auch im Mittelpunkt der Gespräche mit US-Vizepräsident Joe Biden stehen, der am Dienstag in Warschau erwartet wurde.

Putin stimmt Anschluss der Krim zu

Kremlchef Wladimir Putin hat einem Vertrag über die Aufnahme der zur Ukraine gehörenden Schwarzmeerhalbinsel Krim zugestimmt. Das staatliche Internetportal pravo.gov.ru. veröffentlichte am Dienstag eine Anordnung Putins über die geplante Unterzeichnung des Dokuments auf höchster Ebene. Der russische Präsident will sich am Mittag zudem in einer außerordentlichen Rede an die Nation im Festsaal des Kreml zur geplanten Aufnahme der Krim in die Russische Föderation äußern. Medien zufolge könnte dort direkt auch der Vertrag mit der moskautreuen Krim-Führung über den Beitritt zu Russland unterzeichnet werden.

Putin hatte am Montagabend ungeachtet von Sanktionen des Westens die Halbinsel als unabhängigen Staat anerkannt. Die USA, die EU und die Ukraine sehen darin einen eklatanten Bruch des Völkerrechts. Sie verurteilten die Annexion des ukrainischen Territoriums durch Russland. Auf der Krim hatten die Bewohner am Sonntag bei einem international nicht anerkannten Referendum mit großer Mehrheit für einen Beitritt zu Russland gestimmt.

Am Montag hatten die EU und die USA Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Politiker, Parlamentarier und Militärs in Russland und auf der Krim verhängt. Putin will darauf laut CNN nun mit eigenen Sanktionen gegen die USA reagieren. Die Sanktionen Moskaus sollen hochrangige Vertreter von US-Präsident Barack Obamas Regierung sowie wichtige Senatoren treffen, wie das Online-Magazin »The Daily Beast« unter Berufung auf Diplomatenkreise meldete. Darunter seien etwa die US-Spitzendiplomatin Victoria Nuland sowie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Demokraten im US-Senat, Dick Durbin.

Einen Tag nach der Volksabstimmung auf der Halbinsel, bei der sich fast 97 Prozent für einen Anschluss an Russland ausgesprochen hatten, rief die Autonome Republik am Montag offiziell ihre Unabhängigkeit von der Ukraine aus. Zugleich verabschiedete die moskautreue Führung in der Krim-Hauptstadt Simferopol einen Antrag auf Aufnahme in die Russische Föderation sowie die Anpassung der Uhrzeit an die Moskauer Zeitzone. Eine Delegation wollte in Moskau auch über einen Zeitplan zur Einführung des Rubels auf der Krim verhandeln. Agenturen/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.