Über dem Tour-Start schwebt das Madrider Doping-Fallbeil

Ab Samstag ist Tour de France, doch wer genau ist dabei und wie lange?

  • Tom Mustroph, Straßburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Straßburg ist sehr aufgeregt. Zwei Tage Tour de France, nämlich Prolog am kommenden Sonnabend und als 1. Etappe ein Rundrennen um die Stadt am Sonntag, waren hier noch nie.
Aber auch die Tour selbst ist aufregend wie lange nicht mehr. Die Spannung ist schon vor dem spektakulär inszenierten Empfang der Profis - sie fahren auf Booten in das Stadtzentrum von Straßburg ein - riesengroß. Denn man weiß heute noch gar nicht so recht, wer überhaupt die große dreiwöchige Schleife in Angriff nehmen oder wen vielleicht auch noch nach dem Start das frische Madrider Doping-Fallbeil treffen wird. Nach jüngsten Meldungen aus dem Team T-Mobile soll Jan Ullrich jedenfalls starten. Team-Sprecher Luc Eisenga bekundete auch öffentlich via TV: »Nein, er hat nicht gedopt.«

Wer ist Hijo Rudicio?
Doch in Madrid, wo bereits seit einem Monat eine Doping-Enthüllung in der Presse und bei der Staatsanwaltschaft kocht, geht das Rätselraten weiter. Wer verbirgt sich hinter den Namen und Spitznamen Hijo Rudicio, Birillo, Nicolas, Sevillano, Sancti Petri, Guti, Serrano, RH, Vicioso, Porras, Oso, Bella (Jorg), Clasicómano (Luigi), Amigo de Birillo, Huerta, Zapatero und Clasicómano?
Diese Namen hatte El Pais jüngst als Blutdoping-Klienten des Szenearztes Eufemiano Fuentes veröffentlicht und damit Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Ist beispielsweise Hijo Rudicio (wörtlich übersetzt »Rudis Sohn«) tatsächlich der sportliche Ziehsohn von Rudy Pevenage, also Jan Ullrich? Verstärkt die Aufschrift »Jan«, gefunden in weiteren Unterlagen, den Verdacht weiter? Oder ist doch Jan Hruska gemeint, ein Tscheche mit Dopingvergangenheit, von 2001 bis 2005 in Diensten von Manolo Saiz Rennställen ONCE und Liberty Seguros.
Saiz, inzwischen wieder auf freiem Fuß, war Ende Mai bereits kurzzeitig verhaftet gewesen. Allein 15 Leute seines ehemaligen Liberty-Teams seien von dem Doping-Ring versorgt worden, der nach Überzeugung der spanischen Ermittler vom Sportarzt Fuentes und seinem Laborchef José Luis Merino geleitet worden war. Sie hätten vor allem getunetes Blut verkauft, heißt es. Nun also ist die Liste mit 17 codierten Namen auf dem Spekulationsmarkt.
Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc kündigte harte Bandagen an und versprach, jeden einzelnen Klienten von Fuentes, dem Doping nachgewiesen wird, unmittelbar aus dem Rennen zu nehmen. Und so könnte es sein, dass die Entscheidungen über den Toursieg nicht in den Pyrenäen (13.7. Tarbes Pla-de-Beret), den Alpen (18.7. Gap lAlpe dHuez und 19.7. Bourg dOisans La Toussuire) oder den beiden langen Einzelzeitfahren (8.7. Rennes und 22.7. Le Creusot) gefällt werden. Die Tour de France ist vielleicht nicht die perfekte Bühne für die Aufklärung dieses Komplexes. Aufmerksamkeit jedoch, dies kostbare Gut der Mediengesellschaft, ist in höchstem Maße garantiert.

Komischer Mitfavorit
Vortrefflich komisch wäre, wenn sich das Fahrerfeld so lichtet, dass ausgerechnet ein Mann wie David Millar im Gelben Trikot nach Paris gelangt. Der Schotte hatte im Verlauf des Cofidis-Skandals zugegeben, vor drei Jahren mit Epo gedopt zu haben. Seine zweijährige Sperre ist just vor der Tour de France ausgelaufen. Der Zeitfahrspezialist und passable Klassementfahrer, jetzt bei Saunier Duval unter Vertrag, hat bereits eine Podiumsplatzierung als Ziel ausgegeben.
Nach den Erkenntnissen der letzten Jahre über systematisches Doping in Italien (1999), Spanien (Kelme 2002, Liberty Seguros 2006) und Frankreich (Cofidis 2003), den ausführlichen Beichten einiger Profis (Jesus Manzano, Philippe Gaumont, David Millar) sowie einigen aufgeflogenen Spitzenathleten (Tyler Hamilton und Roberto Heras, nur als Stichworte) muss man Doping als charakteristischen Bestandteil des Profiradsports werten. Das erlaubt noch keine Aussage über Umfang und Intensität und darf auch nicht in eine Pauschalverurteilung dieses Berufszweigs ausarten. Aber warum entkräftet keiner der jetzt Beschuldigten von sich aus den Verdacht und stellt den Fahndern eine DNA-Probe zum Abgleich zur Verfügung? Nur jede Beteiligung abstreiten reicht beim Ausmaß der Krise nicht mehr.
Daher gerät die Frage nach dem legitimen Nachfolger des siebenfachen Tour-Gewinners Lance Armstrong fast zur Petitesse. Doch nach Jahren des sportlichen Einerlei ist das Rennen diesmal endlich wirklich offen. Die Hauptprotagonisten sind ein mental unglaublich erstarkter Giro-Dominator Ivan Basso (Italien / CSC) und ein sich geradezu handstreichartig in Form gefahren habender Jan Ullrich. Das Profil mit nur drei Bergankünften, aber zwei langen Zeitfahren begünstigt den Kapitän vom Team T-Mobile, der gerade die Toure de Suisse gewann.
Andererseits ist nicht unbedingt der Grad der Steigung die entscheidende Komponente. Auch ein sanfter Hügel kann die Kraft aus den Beinen saugen, wenn er in hohem Tempo bezwungen werden muss. Darauf lauert die Konkurrenz.
Zu der gehören die Attackenreiter Alexander Winokurow (Kasachstan, so sein Team Astana-Würth zugelassen wird) und der zuletzt bei der Dauphiné Liberé überzeugende Iban Mayo (Spanien / Euskatel). Weiter auf dem Zettel haben die Experten den Dauphiné-Sieger Levi Leipheimer (USA / Gerolsteiner), den ProTour-Führenden Alejandro Valverde (Spanien / Iles Baleares) sowie die Ex-Mountainbiker Michael Rasmussen (Dänemark / Rabobank) und Cadel Evans (Australien / Lotto).

Discovery nach Armstrong
Und Discovery? »Auch ohne Lance wollen wir die Tour gewinnen«, hat Teamchef Johan Bruyneel in einem offenen Brief verkündet. Und er wäre der Gigant unter den Radsporttrainern, wenn ihm das gleich im Jahr 1 nach Lance Armstrong mit Popovych (Ukr) oder Savoldelli (Ita), Azevedo (Por) oder Hincapie (USA) gelänge. Aber wie gesagt: Über allem schwebt noch das Doping-Fallbeil von Madrid.
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