Kommunismus mit Käuzen
Der Schriftsteller Armin Stolper wird 80
Plötzlich steht Barlachs Bettler im Raum. Die bedrängende Figur. Mit ihr der sperrige Dramatiker Alfred Matusche, und aufersteht in beiden Gestalten Armin Stolpers Zuneigung zu den «Wegsuchern, den Geisteskämpfern, den Ausgestoßenen». Barlachs Frage, Matusches Frage, des Autors Frage: «Was bin ich mir und den anderen, wer braucht einen Menschen wie mich, der selber so wenig Antworten weiß?»
So steht es im Buch «Siebzigjährig - Dramaturg auf Lebenszeit», das von jener merkwürdigen Berufstätigkeit zwischen Bibliothek und Bühne, Regie und Schauspiel, Theorie und Praxis, Büro und Kantine erzählt. Der Autor, ein schlesischer Lokführer-Sohn, war Dramaturg in Senftenberg, am Maxim Gorki Theater Berlin, am Landestheater Halle, am Deutschen Theater Berlin. Sein Name gehört maßgeblich dazu, wenn man, noch immer in beglückender Erinnerung, Horst Schönemann, Gerhard Wolfram und Christoph Schroth sagt, Kurt Böwe, Martin Trettau und Uschi Werner. Hallenser DDR-Theatergeschichte. Stolpers Stücke, etwa «Zeitgenossen» und «Himmelfahrt zur Erde», später «Klara und der Gänsereich» und «Der Schuster und der Hahn», gehörten zum guten Bestand der Bühnen.
Stolper befragt, wenn er essayistisch, plaudernd, anekdotisch, dankbar über sein eigenes Leben schreibt, immer wieder Zeit-Genossen - mögen sie gestorben sein, so sind sie doch nicht tot: Gorki, Lessing, O’Casey, Martin Andersen Nexö. Zu DDR-Zeiten schrieb er bewegende Porträts («Der Theaterprofessor und andere Käuze»), nach der friedlichen Revolution, die ihm Konterrevolution bleibt, erinnerte er in einem höchst lesenswerten Bändchen («Die fünf roten Hunderter») an Ernst Busch, Helene Weigel, Karl von Appen, Wolfgang Heinz und Hans Otto. Und vergnüglich seine Hacks-Elogen. Wo er einer politischen Idee, nennen wir sie Kommunismus, treu bleibt, ist es eine Treue zuallererst gegenüber Menschen.
In seiner Literatur, in seiner politischen Polemik (inzwischen in «Bücheln», wie er sagt, bei Spotless, GNN oder Heinen) ist von Weltenliebe und Weltveränderungshoffnung die Rede. Freilich in klarer Gewissheit über die schwierige Natur des Menschen, sich eher listig als lauter durch die Zeiten zu schlagen. Der freundliche, herzensgute, geiststörrische Lausitzer: ein unversöhnlicher Kämpfer. «Wir kaufen uns zu Tode, weil wir zu leben nicht vermögen. Wir reisen in der Welt herum, weil wir unser zerstörtes Zuhause nicht ertragen. Wir gucken in den Fernseher, weil wir die bitteren Wahrheiten, die wir im Herzen fühlen, nicht mehr auszuhalten glauben.»
Seine jüngsten Büchlein bestehen aus Lebensabenteuern «Kaschpars», eines plebejischen Zeitkommentators, ausgestattet mit Dickschädel und Mundart des Schlesiers. Aber vielleicht sein wichtigstes Buch: «Wir haben in der DDR ein ganz schönes Theater gemacht». Erinnerungen. Ach, wie viel Skizzierungsliebe, für die hier nur einige Namen stehen können: Peter Dommisch, Klaus Piontek, Dieter Mann, Eberhard Esche. Kapitel, die sich immer noch wie eine Aufforderung zum Aufbruch lesen; die Maßstäbe sind da, die Erfahrungen abrufbar, die Methoden lebendig! - und doch ist alles «nur» ein Requiem. In Stolz gesungen. Anfang der 70er Jahre trifft er den einstigen Chefdramaturgen des Deutschen Theaters, Heinar Kipphardt, der aus dem Westen gekommen und wieder in den Westen gegangen war. Auf ein deutliches Interesse am neuesten Stück Kipphardts antwortet dieser: «Ich weiß nicht, Stolper, ob das etwas für Sie sein wird. Sehen Sie, es handelt sich doch um Fragen der Revolution, und ich bin mir sicher, daß das Land, in dem Sie leben, an vielem, nur nicht an einer Revolution interessiert ist.»
Erzählungen hat der Paustowski-Liebhaber geschrieben («Geschichten aus dem Giebelzimmer, »Die Karriere des Seiltänzers«, in der DDR im renommierten Hinstorff-Verlag ediert), auch Hörspiele (etwa eine großartige Laxness-Adaption). »Weißer Flügel schwarzgerändert« heißt ein Gedichtband von 1982. Schon im Titel schönste Wahrhaftigkeit, die sich vor keiner Trauer zu retten versucht. Ikarus. Ruß. Das Reine, Unschuldige, von Realität eingefärbt.
Am morgigen Sonntag wird Armin Stolper 80 Jahre alt.
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