Ukrainischer Außenminister sieht erhöhte Kriegsgefahr

Russland übernimmt auf der Krim militärische Kontrolle / OSZE entsendet Beobachter in Ukraine / Steinmeier in der Ukraine - offenbar auch Treffen mit Oligarch / Militärgebärden auf beiden Seiten

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Berlin. Der ukrainische Außenminister Andrej Deschtschyzja hat vor der wachsenden Gefahr eines Krieges zwischen der Ukraine und Russland gewarnt. Keiner wisse, was Russlands Präsident Wladimir Putin im Sinn habe und wie seine Entscheidung aussehe, sagte er in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit dem US-Sender ABC. Deshalb sei die Lage »explosiver, als sie es noch vor einer Woche war«. Nach dem Risiko eines Krieges befragt sagte Deschtschyzja, dieses »steigt an«.

Zuvor hatte die ukrainische Übergangsführung erklärt, sie halte die russischen Truppen an der Ostgrenze des Landes für eine akute Bedrohung. Die Soldaten seien »jederzeit zu einem Angriff bereit«, sagte der Chef des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andrij Parubij, in der Hauptstadt Kiew. Putins Ziel sei »nicht die Krim, sondern die gesamte Ukraine«.

Russland hat Krim in sein Staatsgebiet aufgenommen

Nach einem Referendum über eine Abspaltung der Krim von der Ukraine hat Russland die Schwarzmeerhalbinsel in sein Staatsgebiet aufgenommen. Der Westen protestierte dagegen mit der Verschärfung von Sanktionen gegen Moskau. Am Samstag stürmten russische Soldaten und prorussische Milizen mehrere ukrainische Militäreinrichtungen auf der Krim.

Einer der letzten von ukrainischen Soldaten gehaltenen Stützpunkte auf der Krim ist von vermutlich russischen Truppen gestürmt worden. Die Angreifer durchbrachen das Tor des Fliegerhorsts Belbek mit schwerem Gerät, wie der örtliche ukrainische Armeesprecher Wladislaw Selesnjow am Samstag bei Facebook mitteilte. Berichten zufolge wurde ein Journalist verletzt. Der Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow betonte, Belbek sei »von ausländischen Truppen befreit« worden. Dort hatten ukrainische Soldaten wochenlang ausgeharrt, nachdem Bewaffnete in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen den Stützpunkt umstellt hatten.

Ukraine: Steinmeier trifft Oligarchen

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat der ukrainischen Übergangsregierung weitere Hilfe bei der Stabilisierung des Landes zugesagt. »Wir wollen das unterstützen, so gut wir das können«, sagte er am Samstag nach einem Treffen mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk in Kiew. Die Krim-Krise habe die Gefahr einer neuen Spaltung Europas heraufbeschworen. Er sei nun froh, dass es gelungen sei, eine Beobachtermission der OSZE auf den Weg zu bringen. »Ich hoffe, dass die ersten Beobachter bereits in den nächsten Tagen hier in der Ukraine eintreffen werden.« Er wünsche sich zumindest eine Deeskalation der Lage, sagte Steinmeier. Jazenjuk lobte erneut das am Freitag abgeschlossene Assoziierungsabkommen mit der EU. »Das ist etwas, was Millionen von Ukrainern erhofft haben«, sagte er. Der Ministerpräsident bat die Europäische Union unter anderem um Unterstützung bei der Energieversorgung und bei der Ausrüstung der ukrainischen Armee. »Wir müssen die ukrainischen Streitkräfte neu umrüsten und verstärken«, sagte er. Steinmeier traf in Kiew auch Interimspräsident Alexander Turtschinow. Anschließend reiste er nach Donezk im überwiegend russischsprachigen Osten der Ukraine weiter. Kurz vor seiner Ankunft beteiligten sich in der Bergbau-Metropole Tausende an einer prorussischen Kundgebung. Sie forderten nach Angaben örtlicher Medien unter anderem die Rückkehr des abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. In Donezk hatte es vor einer Woche gewaltsame Proteste gegeben, bei denen mindestens ein Mensch ums Leben kam. Steinmeier traf in Donezk auch den einflussreichen Oligarchen und reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow. Anschließend berichtete er von hoffnungsvollen Signalen. »Mit Herrn Achmetow hatte ich den Eindruck: Es ist akzeptiert, dass es eine neue Ukraine geben wird.« Achmetow hatte lange Zeit Janukowitsch unterstützt.

Russland übernimmt auf der Krim militärische Kontrolle

Nach dem international umstrittenen Anschluss der Krim hat Russland dort offiziell die militärische Kontrolle übernommen. Auf der von Kiew abtrünnigen Halbinsel wehe nun über 147 ukrainischen Militäreinrichtungen die russische Fahne, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Samstag mit. Außerdem habe die Schwarzmeerflotte bisher 54 von insgesamt 67 ukrainischen Schiffen übernommen. Nach Darstellung Moskaus wollen weniger als 2000 der mehr als 18.000 ukrainischen Soldaten die Halbinsel verlassen. Ukrainische Stützpunkte waren wochenlang von Bewaffneten in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen umstellt gewesen. Nach einhelliger Meinung handelte es sich dabei um russische Soldaten, was Moskau stets dementierte.

Krim-Krise: Russland übernimmt ukrainisches U-Boot

Die russische Marine hat auf der Krim das einzige ukrainische U-Boot in ihren Besitz gebracht. Die »Saporoschoje« sei offiziell in die Schwarzmeerflotte aufgenommen worden, sagte der Kommandeur der russischen U-Boot-Kräfte, Anatoli Warotschkin, der Staatsagentur Ria Nowosti am Samstag. Etwa die Hälfte der 78 Mann Besatzung wolle in der russischen Marine dienen. Die übrigen Soldaten hätten das U-Boot verlassen. Der ukrainische 5. Kanal hatte zuvor berichtet, russische Schiffe hätten die »Saporoschje« in der Strelezki-Bucht bei Sewastopol umzingelt und mit dem Abwurf von Blendgranaten zur Aufgabe gezwungen. Bereits am Donnerstag hatten russische Marinekräfte drei ukrainische Korvetten auf der Krim besetzt.

Kiew wirft eigenen Truppen »schwache Moral« vor

Russland hat freies Geleit für ukrainische Soldaten von der Halbinsel Krim angeordnet. Konkret geht es um einen 61 Mann starken Teil einer Luftlandebrigade. Die Soldaten wollen ihren Dienst in der ukrainischen Armee fortsetzen. Die moskautreue Krim-Führung hatte im Gegenzug für den Abzug verlangt, dass die Militärs ihre Ausrüstung zurücklassen. Nun befahl der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, die Soldaten könnten mit eigenen Fahrzeugen abrücken. Sie sollen bis zur Grenze von russischer Militärpolizei eskortiert werden. Der kommissarische ukrainische Verteidigungsminister Igor Tenjuch warf Kommandeuren auf der Krim »schwache Moral« vor. »Männer heulen nicht«, entgegnete Tenjuch dem Befehlshaber einer Armee, der sich über mangelnde Unterstützung und fehlende Anordnungen des Generalstabs beklagt hatte. Das meldete die Agentur Unian am Samstag. Die Armee sei in den vergangenen Jahren schlecht ausgebildet und nicht auf den Ernstfall vorbereitet gewesen, kritisierte Tenjuch. Marinechef Sergej Gajduk betonte, die Soldaten auf der Krim müssten ihre Kriegsschiffe und Stützpunkte sichern. Ein Abzug komme nicht infrage, sagte Gajduk in einer Sendung des Fernsehkanals TSN.

OSZE entsendet Beobachter in Ukraine - aber nicht auf die Krim

Die vielfach geforderte internationale Beobachtermission in der Ukraine ist nach zähem Ringen perfekt. Der Ständige Rat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) billigte am Freitag auch mit der Stimme Russlands die Entsendung einer Mission. Mit der Konkretisierung der zunächst neun Einsatzorte außerhalb der Krim sei ein Weg gefunden worden, die nötige Einstimmigkeit in dem OSZE-Gremium herzustellen, sagte der Schweizer OSZE-Botschafter Thomas Greminger. Anfangs werden rund 100 Experten der Mission angehören, es können aber laut Beschluss bis zu 500 Experten entsandt werden. Deutschland hatte in Aussicht gestellt, sich mit bis zu 20 Fachleuten zu beteiligen. Die ersten Beobachter werden innerhalb von 24 Stunden - also am Samstag - in der Ukraine erwartet. Die Mission war bisher am Widerstand Russlands und der Frage der Einsatzgebiete gescheitert.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der am Samstag zu Gesprächen in die Ukraine reist, zeigte sich erleichtert. »Das war ein Kraftakt über Tage und Nächte. Ich bin froh, dass wir die OSZE-Beobachter jetzt auf den Weg schicken können«, erklärte er in Berlin. »Das ist noch nicht das Ende der Krise, aber ein Schritt, der unsere Bemühungen um Deeskalation stützen hilft.« Steinmeier will sich in Kiew mit dem amtierenden Regierungschef Arseni Jazenjuk und Interimspräsident Alexander Turtschinow treffen. Anschließend fliegt er weiter in den überwiegend russischsprachigen Osten des Landes. In Donezk will er mit dem Gouverneur Sergej Taruta sprechen.

Ziel der Reise sei es, heißt es von Regierungsseite, der Ukraine die deutsche Unterstützung für die politische und wirtschaftliche Stabilisierung zuzusichern. Wie von mitreisenden Journalisten zu erfahren war, will sich Steinmeier offenbar auch mit dem milliardenschweren Oligarchen Rinat Achmetow treffen. Dieser ist nicht nur der reichste Mensch in der Ukraine, sonder er zählt auch zu den einflussreichsten Köpfen. Über ein Firmengeflecht kontrolliert er Dutzende Unternehmen der ostukrainischen Stahl- und Kohleindustrie. Achmetow soll sich im ukrainischen Wahlkampf von 2004 massiv für Viktor Jankowytsch eingesetzt haben, er war auch Abgeordneter von dessen »Partei der Regionen«.

Derweil verfolgen die USA die russischen Truppenbewegungen im Grenzgebiet zur Ukraine mit Skepsis. »Es ist nicht klar, was das signalisieren soll«, sagte die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice am Freitag im Weißen Haus. Zwar habe die russische Führung erklärt, es handele sich lediglich um Manöver, sagte sie mit Blick auf ein Telefonat von Verteidigungsminister Chuck Hagel mit seinem russischen Kollegen Sergej Schoigu am Donnerstag. Doch angesichts der Kluft zwischen Reden und Handeln in Moskau müsse man skeptisch sein, fügte Rice hinzu.

In der von der Ex-Sowjetrepublik Moldau abtrünnigen Region Transnistrien hatten russische Truppen am Freitag ein Manöver begonnen. Die Panzergrenadiere übten den Schutz friedlicher Bürger in einem möglichen Kriegsgebiet, sagte Oberst Oleg Kotschetkow vom Westlichen Wehrbezirk am Freitag der Agentur Interfax. Transnistrien hatte sich 1992 nach einem Bürgerkrieg von Moldau abgespalten, wird aber nicht international anerkannt. Dort sind etwa 2000 »Friedenssoldaten« der Schutzmacht Russland stationiert. Seit Jahren gibt es Forderungen nach einem Beitritt zur Russischen Föderation. Im angrenzenden ukrainischen Gebiet Odessa verstärkten die Behörden den Grenzschutz.

Militärische Gebärden gibt es auch auf der anderen Seite: In der vergangenen Woche verlegten die USA zwölf F-16-Kampfjets nach Polen, wo sie an einer Militärübung teilnehmen sollten. Auch wurden 300 US-Soldaten nach Polen geschickt werden, wie das Verteidigungsministerium in Warschau mitteilte. Das Manöver sei schon länger geplant gewesen, hatte Ministeriumssprecher Jacek Sonta vor einer Woche erklärt. Angesichts der »angespannten politischen Situation« in der Ukraine hätten Warschau und Washington nun aber vereinbart, es auszuweiten und vorzuziehen.

Darüber hinaus hatten die USA bereits sechs zusätzliche F-15-Kampfjets ins benachbarte Litauen verlegt. Litauens Verteidigungsminister Juozas Olekas hatte erklärt, die Kampfflugzeuge seien die Antwort auf die »russische Aggression in der Ukraine und eine erhöhte militärische Aktivität in Kaliningrad«, der russischen Exklave an der Grenze zu Litauen und Polen.

Die USA und die Ukraine wollen nach einem Zeitungsbericht an einer für Juli geplanten gemeinsamen Militärübung ungeachtet der Krim-Krise festhalten. Auch Großbritannien werde Soldaten in das Manöver mit dem Namen »Rapid Trident« schicken, habe sich aber noch nicht entschieden wie viele, berichtete der britische »Guardian« am Donnerstag unter Berufung auf Londoner Regierungsquellen. Die Teilnahme der Bundeswehr ist noch offen. Agenturen/nd

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