Obdachlos im reichen Freiburg

Etwa 850 Menschen leben auf den Straßen der Stadt

  • Dirk Farke, Freiburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Freiburg ist eine der wohlhabendsten Städte der Bundesrepublik. Doch geht man abends durch die Innenstadt, vorbei an Rathaus und Studierendenkneipen hin zu den Kollegiengebäuden der Universität, so fallen einem auch hier unweigerlich die Obdachlosen auf. Wenigstens für ein paar Stunden versuchen sie in den Eingängen der Geschäftspassagen Schutz zu finden. Ihre Zahl scheint stetig zuzunehmen.

Fragt man nach den Ursachen dieser in ganz Deutschland anzutreffenden Erscheinung, so stößt man in der Literatur vor allem auf eine Erklärung: Dass bei der Entstehung von Obdachlosigkeit, von wenigen Einzelfällen abgesehen, die Einkommensarmut eine ganz entscheidende Rolle spielt.

Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe nimmt die Anzahl der Menschen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben, stetig weiter zu. Zuletzt stieg ihre Zahl von etwa 22 000 im Jahre 2010 noch einmal um weitere zehn Prozent auf 24 000 im Jahre 2012. Auch in Freiburg ist in den letzten Jahren der letzte Rest von noch einigermaßen bezahlbarem Wohnraum zunehmend der Abrissbirne zum Opfer gefallen oder wurde luxussaniert. Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD) geht davon aus, dass in Freiburg zur Zeit um die 850 Menschen auf den Straßen leben müssen.

Obdachlose werden nicht nur von Staat und Gesellschaft ausgegrenzt, sondern auch auf der Straße beleidigt, angespuckt, angegriffen. Es gab sogar Folter und Mord. »Auffallend häufig beteiligt an diesen Verbrechen sind rechte Täterinnen und Täter, die gegen ihre Opfer einen Sozialdarwinismus der Tat praktizieren und durch einen Sozialdarwinismus des Wortes vorbereiten und begleiten.« Diese Feststellung traf kürzlich in Freiburg der Autor Lucius Teidelbaum im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus. Gewalt gegen Obdachlose werde verübt, weil diese als gesellschaftlich unproduktiv gelten, angeblich arbeitsscheu und asozial seien und als Parasiten der Mehrheitsgesellschaft auf der Tasche lägen.

Und wie ist die Situation in Freiburg? Wilibert Bongarts, Leiter der Tagesstätte »Pflasterstub«, und Günter Wolf, Sozialarbeiter im »Ferdinand-Weiß-Haus«, berichten übereinstimmend, dass ihnen kein Fall von rechter Gewalt gegen ihre Klientel bekannt sei. Unterhält man sich jedoch mit den Betroffenen, so ist auffallend, dass sie sehr häufig von Pöbeleien und Übergriffen nach den Heimspielen des Fußballclubs SC Freiburg berichten. Ob das rechte Täter seien, wüssten sie nicht.

Doch die Täter oder Täterinnen müssen nicht immer ein tätowiertes Hakenkreuz auf der Stirn tragen, um sich als rechtsradikal zu outen. Entscheidend hierfür, erklärte Teidelbaum, sei neben fehlendem Unrechtsbewusstsein - »das ist doch nur ein Penner, ein Assi und ein Parasit« - das Tatmotiv. Und das kann auch ohne Nazi-Symbolik rechtsextremistisch sein. Die Haltung der Mehrheitsgesellschaft, Menschen nur noch nach ihrem Marktwert einzustufen, bildet den Nährboden, auf dem Obdachlose zu Freiwild erklärt werden - zusammen mit anderen nicht mehr zur Kapitalakkumulation zu gebrauchenden Gruppen, wie Langzeitarbeitslose, Kranke und Behinderte.

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