Helpline gegen das »Normale«

WM-Initiative hilft bei rassistischen Angriffen

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 2 Min.
Es ist 23. Juni 2006. Mitten am Nachmittag. Das Vorrundenspiel Ukraine gegen Tunesien in Berlin beginnt erst in einer Stunde. Ein 38-Jähriger nigerianischer Herkunft geht einen Weg in der Berliner Gropiusstadt entlang. Plötzlich beschimpft ihn ein 61-jähriger Mann vom Balkon aus mit rassistischen Parolen und wirft dem Afrikaner zwei Bierflaschen nach. Der wird selbst nicht getroffen, aber ein in der Nähe stehendes zehnjähriges Mädchen verletzen die Scherben der zersplitternden Flaschen leicht. Ein Beispiel von täglichen Angriffen auf Fremde in Deutschland. Aufgeschrieben von der Initiative »Worldcup Racism Helpline«. Die Initiative in Berlin und Brandenburg hat seit dem 8. Juni eine 24-Stunden-Notrufhotline für den gesamten Zeitraum der WM geschaltet. Das Projekt wird unter anderem von Beratungsgruppen wie Reach Out und Opferperspektive unterstützt - und vor allem von Aktivisten, die während der WM vor dem Berliner Olympiastadion und auf Fanmeilen Flugblätter verteilen. Die Helpline richtet sich an Besucher der WM, die Opfer rassistischer Gewaltakte werden können. Am Telefon erhalten sie Beratung. Inzwischen haben sich Initiativen aus weiteren Bundesländern angeschlossen. »Wir sind bisher zufrieden mit dem Projekt«, erklärt Simplice Freeman, einer der Initiatoren. Er sah der Fußballweltmeisterschaft mit gemischten Gefühlen entgegen. Neben aller Begeisterung rechneten sie mit rassistischen Hooligans, Angriffen deutscher Neonazis und einer Polizeipräsenz, »die angesichts der Erfahrungen mit rassistischen Übergriffen der deutschen Polizei nichts Gutes erwarten lässt. Gerade die rassistischen Angriffe der letzten Monate sprechen eine deutliche Sprache: Deutschland ist gefährlich«. Das habe sich mit der WM nicht geändert. »Für uns ist es eher der Normalzustand«, sagt Freeman, der seit sechs Jahren in Deutschland lebt. Die Angriffe hätten nicht zugenommen, die verstärkten Sicherheitskontrollen durch die Polizei aber bedeuten gerade für Schwarze mehr Schikanen. Insgesamt hat man bisher zehn Fälle registriert. Die momentane Erleichterung darüber, dass es bisher nicht zu einer Häufung von Angriffen gekommen ist, hat aber auch eine Kehrseite. »Es ist doch grausam«, sagt Freeman, »wenn tägliche Angriffe das "Normale" sind.« Und nach der WM? »Für mich ist doch die Frage«, sagt der Kameruner Freeman, »kann ich nach der WM zum Beispiel nach Cottbus fahren und mir dort ein Fußballspiel anschauen, ohne angepöbelt oder angegriffen zu werden? Und kann ich im Notfall mit der Hilfe der Polizei oder Umstehender rechnen?« www.racismhelpline.de
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