Bürger zwingen Jenas Stadtspitze zum Kurswechsel

Eine Bürgerbefragung bringt ein klares Nein zu bisherigen Bauplänen für den zentralen Eichplatz - der OB spricht plötzlich von »Volkseigentum«

  • Doris Weilandt, Jena
  • Lesedauer: 3 Min.
In Jena ist eine Bürgerbefragung zu einem hart umkämpften Platz in der Innenstadt zu Ende gegangen. 62 Prozent sprechen sich gegen den vorliegenden B-Plan mit Geschäften und teuren Wohnungen aus.

Die Auseinandersetzung um die Zukunft des zentralen Eichplatz bestimmt die Kommunalpolitik im thüringischen Jena schon seit Längerem. Dabei geht es um die Frage, was mit dem derzeit vor allem als Parkplatz genutzten Areal passieren soll. Die Pläne der Stadt, dort vor allen Geschäfte und teure Wohnungen zu bauen, wurden nun in einer Bürgerbefragung von 62 Prozent der Teilnehmer abgelehnt.

»Den Menschen ist der Eichplatz wichtig« konstatiert Peter Fauser, ein Gegner des Projektes, der bis zum letzten Herbst die Professur für Schulpädagogik und Schulentwicklung an der Friedrich-Schiller-Universität inne hatte. »Die Wahlbeteiligung bei dieser Bürgerbefragung war höher als bei den Kommunalwahlen. Das ist ein starkes Zeichen für das vitale Interesse, das die Jenaer an ihrem zentralen Platz haben.« Fauser ist froh, dass es nun eine klare Entscheidung gibt, die keinen Spielraum für Deutungen lässt. Zur Geschichte: Nach einem Investorenwettbewerb gingen zwei Bewerbungen in die nächste Runde - die vom Unternehmen ECE und die der stadteigenen Wohnungsgesellschaft jenawohnen, die gemeinsam mit der Helaba-Immobiliengruppe OFB antrat. Als die Pläne veröffentlicht wurden, regte sich enormer Widerstand. Eine Unterschriftensammlung, der sich innerhalb weniger Wochen über 10 000 Bürger anschlossen, verlangte im Vorfeld der Abstimmung ein Moratorium. Doch die Stadt ging nicht darauf ein. Stattdessen erhielt Anfang Dezember 2013 die jenawohnen-Bietergemeinschaft den Zuschlag für die Eichplatzbebauung. Auf dem Grundriss der mittelalterlichen Stadt sollten mehrere vierstöckige Häuser mit Geschäften und hochpreisigen Wohnungen entstehen.

Die Ortsteilbürgermeisterin Rosa Maria Haschke hatte die Unterschriftensammlung auf den Weg gebracht. Über das Ergebnis ist Bürgerbefragung ist sie erstaunt: »Keiner hat gedacht, dass es so ausgeht. Es war wie David gegen Goliath. Jetzt müssen wir schauen, wie wir zusammenkommen.« Die Sprecher der Bürgerinitiative wollen den Streit begraben, einen Neustart mit der Stadt wagen. Auch Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) sprach nach der Abstimmung von einem »Zeichen für starke Demokratie« und dass »es keine Versuche geben wird, das Ergebnis zu unterlaufen«. Den vorläufigen Kaufvertrag soll der Stadtrat Mitte April per Beschluss aufheben. Der Satz »Der Platz bleibt Volkseigentum«, den Schröter aussprach, war dabei wohl kein Lapsus linguae, sondern eher ein Freudscher Versprecher.

Mehrere Monate Ruhe wünscht sich der OB jetzt, bevor die nächsten Schritte für einen neuen Bebauungsplan am Eichplatz unternommen werden. Frühzeitig soll die Bürgerschaft beteiligt werden. Schröter rechnet jedoch mit einem Imageschaden für die Stadt und hält Schadensersatzforderungen der Investorengruppe für wahrscheinlich. Wird die eigene Wohnungsgesellschaft dann der Stadt die aufgelaufenen Kosten in Rechnung stellen?

In Sachen Demokratie ist Peter Fauser Experte. Vor 20 Jahren hat er das deutschlandweit einmalige Förderprogramm »demokratisch handeln« ins Leben gerufen, das bis heute existiert. Wenn die Stadt das Versprechen der Bürgerbeteiligung ernst nehmen will, erwartet er, dass sie wie bei der gesamten Kampagne für die Bebauung mehrere Millionen in den Prozess investiert.

Doch bereits jetzt werden am westlichen Ende des Platzes Tatsachen geschaffen. Auch ohne B-Plan mischt die Saller Bau GmbH die Karten am Standort um den Jentower neu. Der Stadt liegt ein Antrag auf Erweiterung der shopping mall am Turmfuß vor. 5000 Quadratmeter sollen dazu kommen. Das Vorhaben ist nach Aussagen des städtischen Eigenbetriebes Kommunale Immobilien (KIJ) genehmigungsfähig. Für den Eichplatz werden damit städtebauliche Maßstäbe gesetzt. Bis zum nächsten B-Plan aber, dem nunmehr fünften, soll sich auf der jetzt als Parkplatz genutzten Fläche nichts ändern. Bürger haben in Eigeninitiative Stiefmütterchen gepflanzt, sonst dümpeln die Grünflächen ohne Pflege vor sich hin. Das ist auch ein Imageschaden.

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