Zeichen von Auflösung nach den Penalties

Nach dem Ausscheiden sucht England einen Kapitän, Portugal ist nun allein unter Ex-Weltmeistern

Ob der Berliner Schiedsrichter Karl Wald geahnt hat, was für Mythen entstehen würden, als er 1970 das Elfmeterschießen austüftelte - als eine sportliche Alternative zum Münzwurf, mit dem bis dahin ein unentschiedenes Spiel Gewinner und Verlierer fand? Noch heute gelten bis ins Detail jene Regeln, mit denen Wald »einen sportlich einwandfreien Sieger« ermitteln wollte; bis heute wird über die Gerechtigkeit dieses Ausscheidungsschießens debattiert.
Immerhin sind die Legenden des Elfmeterschießens beständig, auch beim World Cup 2006: Deutsche gewinnen meist, Engländer versagen regelmäßig im »Grande Finale«. Am Sonnabend in Gelsenkirchen beim Viertelfinale gegen Portugal war es für England wieder mal so weit: Verschwitzt, erschöpft und Arm in Arm standen sie unter dem geschlossenen Zeltdach der Schalke-Arena - Englands Löwen, der Insel »goldene Generation«: Steven Gerrard, Frank Lampard, Rio Ferdinand und Kollegen. 0:0 gegen Portugal nach 120 Minuten.
Drei Wochen lang hatten sie Elfmeter geübt, und nun schauten sie sich selbst beim Scheitern zu: Sahen wie nacheinander Lampard, Gerrard und der extra fürs Elfmeterschießen eingewechselte Carragher an Torwart Ricardo scheiterten. Nur Owen Hargreaves als zweiter Schütze traf - obs daran lag, dass er seit Jahren bei Bayern München unter Einfluss der Erfinder des Elfmeterschießens steht?
Wie auch immer: Es war zu wenig. Cristiano Ronaldo traf am Ende zum 3:1 für Portugal - der Schlussakt eines umkämpften Viertelfinal-Dramas, an dessen Ende Portugals Coach Felipe Scolari zum dritten Mal England aus einem Wettbewerb geworfen hatte - 2004 bei der EM mit Portugal (im Elfmeterschießen), 2002 bei der WM mit Brasilien. Als die Tränen getrocknet waren, gröhlten die sangesstarken englischen Fans auf dem überfüllten Gelsenkirchener Bahnhof an diesem Abend eine neue Hymne, aus der klar verständlich nur so etwas wie »Fucking Penalties!« - Verdammte Elfmeter! - herauszuhören war.
Englands goldene Generation löst sich nun auf, nachdem sie in der stickigen Arena bereits in der 62. Minute den Verlust von Wayne Rooney hatte hinnehmen müssen - »Roo« hatte sich mit einem Tritt in die Weichteile des Portugiesen Ricardo Carvalho für den im Februar erlittenen Fußbruch gerächt. Kapitän Beckham erklärte gestern den Rücktritt als Spielführer, Trainer Sven Göran Eriksson übergibt an Assistent Steve McClaren. Einen letzten Rat in Sachen Rooney gab der scheidende Schwede der heimischen Presse noch: »Lasst ihn in Ruhe! Denn ihr braucht ihn noch.«
In Porto, Lissabon und an der Algarve hingegen wurde gefeiert - nach 40 Jahren steht die »Seleccao« wieder im WM-Halbfinale - allein unter lauter Ex-Weltmeistern. »Nun ist der Weg für unser Land frei«, jubelte Eusebio, 1966 mit Portugal WM-Dritter. Sollte es gegen Frankreich Elfmeterschießen geben, scheint Portugals goldene Generation dafür gerüstet.

England: Robinson - Neville, Ferdinand, Terry, Ashley Cole - Beckham (52. Lennon - 119. Carragher), Lampard, Hargreaves, Gerrard, Joe Cole (65. Crouch) - Rooney.
Portugal: Ricardo - Miguel,, Carvalho, Fernando Meira, Nuno Valente - Petit, Maniche - Figo (86. Hélder Postiga), Tiago (74. Viana), Cristiano Ronaldo - Pauleta (63. Simão).
Elfmeterschießen: 0:1 Simão, Lampard gehalten, Viana verschossen, 1:1 Hargreaves, Petit verschossen, Gerrard gehalten, 1:2 Hélder Postiga, Carragher gehalten, 1:3 Cristiano Ronaldo. SR: Elizondo (Argentinien). Zu.: 52 000. Rot: Rooney (62./Tätlichkeit).
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