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Zweifelhaftes Mitmachtheater
Wolfgang Ehmke ist gegen die Beteiligung der Umweltverbände an der Endlagerkommission
In der vergangenen Woche haben Bundestag und Bundesrat das Personaltableau für eine Endlagerkommission beschlossen. Das Mitmachtheater wird eröffnet. Wie wenig Mut vorhanden ist, tatsächlich einen apostrophierten »Neustart« der Endlagersuche zu wagen, zeigt sich schon an der Benennung der Kommissionsmitglieder: Sie wurden im Reißverschlussverfahren nach dem Muster pro oder kontra Gorleben bestimmt. Selbst bis in die Spitze lässt sich dieser Ungeist verfolgen: Die ehemaligen Umweltstaatssekretäre Ursula Heinen-Esser (CDU) und Michael Müller (SPD) werden im Wechsel den Vorsitz übernehmen. Müller stellte kurz vor seiner Nominierung klar, dass er es für einen Fehler halte, an Gorleben festzuhalten. Mit Ausnahme des BUND bleiben die Umweltverbände außen vor. Und das aus gutem Grund. Sie sollen vereinnahmt werden für einen Suchprozess, bei dem am Ende wieder Gorleben herauskommt.
Die viel gepriesene Kommission war ursprünglich gar nicht vorgesehen. Sie wurde nach dem Wahlsieg von Rot-Grün in Niedersachsen in das Standortauswahlgesetz (StandAG) hinein verhandelt. Die Kommission suggeriert zivilgesellschaftliche Beteiligung, die von den Parteienvertretern während der Debatte um die Grundzüge des Gesetzes in arroganter Art und Weise ausgeschlossen wurde. Stattdessen wurde in den berühmten »Küchengesprächen« zwischen Peter Altmaier (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) ein Kompromiss ausgeheckt: Gorleben bleibt im Rennen, wird aber nicht weiter ausgebaut. Dafür gibt es einen Vergleich möglicher Endlagerstandorte. Die Castortransporte nach Gorleben sollen entfallen. Eine neue Behörde, das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BkE), wird gegründet; sie ist für die Auswahl der Endlagerregionen und die Auswahlkriterien bestimmt.
Halt! Stopp! Sollte das nicht die Kommission besprechen und gegebenenfalls Vorschläge unterbreiten, wie das StandAG novelliert werden sollte? Was dann die Parteien im Bundestag - wieder unter sich - annehmen oder verwerfen können? Typisch: ein Parteienvorbehalt, eine Bremse. Typisch auch: Neben der Benennung der Kommissionsmitglieder hat der Bundestag Haushaltsmittel für die Einsetzung der ersten 40 Stellen des BkE gebilligt.
Um Gorleben als Endlager realisieren zu können, wurde in den vergangenen 35 Jahren eine Aktenlage geschaffen, bei der die anfangs behauptete »Eignungshöffigkeit« schleichend von Eignungsprognosen abgelöst wurde, allen geologischen Bedenken zum Trotz. Nachlesbar ist das in Studien wie »Isibel« von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2004) oder der »vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben« (2013). Flankiert wird die Aktenlage von den offiziell gültigen Sicherheitsanforderungen für die Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle, die unter Gabriel als Umweltminister formuliert und schließlich unter seinem Nachfolger Norbert Röttgen (CDU) fortgeschrieben wurden. Sie wurden so abgefasst, dass die geologischen Schwachstellen des Salzstocks Gorleben keine Ausschlusskriterien darstellen.
Eine »Lösung« dafür, wie man den Atommüll für eine Million Jahre sicher vor der Biosphäre abschließt, gibt es nicht, zumindest nicht ohne Anführungsstriche. Dieses Eingeständnis der Politik fehlt. Was außerdem fehlt ist die Einsicht, dass es keine offene Debatte gibt, wenn man an dem Symbol der verfehlten Atommüllpolitik festhält: Gorleben. Gorleben steht paradigmatisch dafür, wie die Öffentlichkeit systematisch übergangen wurde. Macht ging vor Recht, Lüge vor Wahrheit, Heimlichkeit vor Offenheit. Außerdem hat der Kauf von Zustimmung Vertrauen zerstört. Was für eine verlorene Zeit, dass nun zwei Jahre lang offen oder versteckt nur über Gorleben geredet wird, statt tatsächlich ein faires Suchverfahren einzuleiten.
Zur Fairness gehört auch das vollständige Ende der Atommüllproduktion. Die gesellschaftliche Debatte um Grundzüge eines verantwortbaren Umgangs mit dem Nuklearmüll - nicht nur mit den hoch radioaktiven Abfällen - wird von Umweltinitiativen und Anti-AKW-Gruppen weiter angemahnt. Beispielhaft war der Berliner Atommüllkongress Ende März: Die Zivilgesellschaft macht es der Politik vor, wie es gehen könnte. Wenn nun das Mitmachtheater beginnt, wird es unter den gegebenen Umständen Zwischenrufe des Publikums geben. Diese Zwischenrufe, Proteste und weitere Kolloquien, können sehr erhellend sein. Alles ist drin. Bis hin zum Spielabbruch.
Wolfgang Ehmke ist Vorstandsmitglied
der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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