Zögerliche Trainer, entschlossene Spieler

Portugal will mit einem Halbfinalsieg Scolari zum Bleiben bewegen, Frankreich die letzten Kritiker verstummen lassen

Für den besten Trainer der Welt würde jeder Verbandschef eine Menge springen lassen. Die Deutschen beispielsweise halten derzeit Jürgen Klinsmann für den Größten, die Portugiesen naturgemäß eher ihren Luiz Felipe Scolari. Nur die Italiener zweifeln noch an Marcello Lippi: Was hat er mit dem Korruptionsskandal zu tun? Dass besonders erfolgreiche Trainer besonders schwer zu halten sind, weiß Gilberto Madail, Präsident des portugiesischen Fußballverbandes schon lange. Gerade erfährt er das am eigenen Nationalteam. Felipe Scolari, der brasilianische Weltmeistercoach, ohne den Portugal kaum ins heutige Halbfinale (in München, 21 Uhr) gegen Frankreich gekommen wäre, ziert sich, seinen Ende Juli endenden Vertrag zu verlängern. »Ich bin für alles offen«, sagte Scolari immer wieder. Schon vor der WM hatten die Engländer den erfahrenen Coach gerne als Nachfolger von Sven-Göran Eriksson verpflichten wollen, doch Scolari sagte ab: Sorry, erst Worldcup, dann weitersehen. England hat inzwischen Steve McClaren verpflichtet, aber nun droht Portugal Ungemach von anderswo. In Brasilien werden die Stimmen lauter, die eine erneute Verpflichtung von Scolari nach seinem Abgang 2002 fordern. Es liegt am Geld. »Wenn ich Abramowitsch wäre, hätten wir den Vertrag längst perfekt gemacht«, klagt Präsident Madail, der den 57-Jährigen unbedingt bis zur Euro 2008 halten will. Nun muss er warten, wie sich Scolari entscheidet und nebenbei noch einen Batzen Euro auf die 1,8 Millionen Jahresgage packen. Und hoffen, dass es heute gegen die Franzosen zum Finaleinzug reicht, vielleicht zum ersten portugiesischen Titel überhaupt. »Es wird ein schwieriges Spiel«, sagt Elfmeterheld Ricardo. »Die Franzosen sind viel stärker als bei Turnierbeginn.« Dennoch sieht es für den bärbeißigen Trainer Scolari gut aus, seine Philosophie des kompromisslosen Zweikampfes auf dem Feld umgesetzt zu bekommen: Alle Spieler sind fit, nur Petit wird nach dem zweiten Gelb fehlen. Der zurückkehrende Mittelfeldlenker Deco könnte Portugals schnellem direkten Spiel die zuletzt sichtbar fehlende Kreativität im Angriff verleihen. Im Viertelfinale hatten diePortugiesen die zehn Engländer oft bis an den Strafraum gedrängt, dann aber wirkte ihr Spiel fast wie Handball: Endlose Ballstaffetten quer entlang des 16-Meter-Raumes, irgendwann mal ein Fernschuss - gegen Frankreichs ausgebuffte Abwehr-Oldies könnte das zu wenig sein. Zumal Frankreichs Trainer Raymond Domenech nach dem glänzenden Sieg über den Titelverteidiger Brasilien nicht nur den in der Schönheit des Alters spielenden Zidane aufbieten kann oder Superstürmer Thierry Henry, sondern auch den besten Innenverteidiger der WM, den 34-jährigen Lilian Thuram, der heute zum 119. Länderspiel aufläuft. Ausgerechnet der zweitälteste Spieler des Turniers spielt so stark, dass es wie eine Antwort auf den Ultrarechten Jean-Marie Le Pen wirkt, der nach den anfänglich schwachen Auftritten der Le Bleus kritisiert hatte, Trainer Domenech biete zu viele Farbige auf. Thuram antwortete, der Vorsitzende der Nationalen Front wisse nicht über Frankreichs Geschichte Bescheid. Thuram, seit langem FIFA-Anti-Rassismus-Botschafter: »Das ist, als wenn einer ein Basketballspiel sieht und sich wundert, dass es in der amerikanischen Mannschaft Schwarze gibt. Dumm!« Seither überzeugte der auf Guadeloupe geborene Juventus-Star mit diesem bunt gemischten Team, dessen Altersschnitt 30 Jahre beträgt. »Wir haben einen Teamgeist fast wie 1998«, sagt Thuram vorm heutigen Spiel gegen Portugal. Frankreich ist auch dank Thuram wieder ein Titelfavorit, obwohl die Spieler den zögerlichen Coach Domenech angeblich nicht akzeptieren, die heimische Presse noch viel weniger. Domenech nimmt das hin, mittlerweile. Er setzt einfach auf diese Geschlossenheit, auch wenn sie ihn ausschließt. Und auf Fairness vom Scolari-Team: »Hoffentlich wird es nicht so hektisch wie bei Portugal-Holland.«
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