Parlamentspräsident erschien im blauen Trikot

Frankreichs Fußballfans träumen vom zweiten WM-Titel nach 1998 / Vorsichtiger Optimismus in den Medien

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Pariser Polizei hatte die richtige Vorahnung: Bereits vor dem Spiel zwischen Frankreich und Portugal sperrte sie die Champs-Elysées für den Autoverkehr. Kaum war dann in München der Schlusspfiff ertönt, strömten aus der ganzen Stadt und den Vororten viele tausend Fußballfans auf die »schönste Avenue der Welt«, um gemeinsam den Einzug ins Finale zu feiern. Bald drängten sich hier eine halbe Million Menschen - mehr als am Abend des Sieges bei der WM 1998. In Marseille traf man sich am alten Hafen, in Lyon am Ufer der Saone zu improvisierten Siegesfeiern. Schon das Spiel hatten viele Franzosen gemeinsam erlebt. So konnten in zwei Pariser Stadien über 50 000 Menschen die Übertragung auf Riesenleinwänden verfolgen. Viele feierten anschließend gleich an Ort und Stelle, ebenso wie in den Bistros im ganzen Land, wo man sich während des Spiels vor dem Fernsehbildschirm drängte und lautstark mitbangte oder jubelte. Es gab auch etliche Bistros, in denen sich traditionell die in Frankreich lebenden Portugiesen trafen. Vielerorts hatte man auch in Firmen und Behörden Fernseher oder Projektionswände installiert und ein Buffet aufgebaut, um gemeinsam das Spiel zu verfolgen. Im Garten der Nationalversammlung drängten sich um vier Bildschirme und zahlreiche Tische Abgeordnete aller Parteien, Angestellte und Journalisten. Parlamentspräsident Jean-Louis Debré, ein großer Fußballfan, hatte seine Anzugjacke gegen ein blaues Trikot getauscht. Eifrig malte er blau-weiß-rote Streifen nicht nur auf die Stirn von Parteifreunden, Oppositionspolitikern und Polizisten der Parlamentswache, sondern unter großem Hallo auch auf die Schenkel der Zeitungsverkäuferin aus dem hauseigenen Kiosk. »Ein herrlicher Abend«, schwärmte Debré. »Rechts und links haben gewonnen - also ganz Frankreich.« So weit wollte der sozialistische Abgeordnete Christian Bataille den Einheitsjubel aber doch nicht mitmachen. »Heute freuen wir uns gemeinsam, aber im nächsten Jahr wollen wir den Rechten ganz sportlich eine Niederlage bereiten. Schließlich haben die fünf Jahre lang einfach zu schlecht gespielt.« Bis weit nach Mitternacht fuhren Fußballfans laut hupend durch die Städte überall im Land, um ihrer Freude Luft zu machen. »Wir werden Champion«, lauteten die Sprechchöre, die man am häufigsten hörte. Die hiesigen Medien wollten indes nicht zu früh frohlocken. »Finalement« titelt die Zeitung Libération ihren Bericht aus München und spricht von einer »Leistung, auf die man kaum zu hoffen wagte«. Vorsichtiger Optimismus wird verbreitet und gleichzeitig auf die Stärken der Italiener aufmerksam gemacht. Doch alle sind sich einig: Es wäre wunderschön, wenn sich die »Blauen« am Sonntagabend in Berlin einen zweiten Stern ans Trikot heften könnten.
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