»Ich ertrage diese Liebe nicht«
Es wird Zeit, eine Hommage an den 1. FC Nürnberg zu senden, den Verein, der es gestern geschafft hat, zum achten Mal in seiner Vereinsgeschichte abzusteigen. Das ist ausgesprochen schade, denn der Club ist ein Phänomen, das es in der heutigen Fußballwelt nicht mehr oft gibt.
Zugegeben, das merkt man nur, wenn man vor Ort ist. Als Mensch, der in 300 Kilometer Entfernung geboren und aufgewachsen ist, fiel mir das mehrere Jahrzehnte auch nicht auf – bis ich das erste Mal in Nürnberg und beim Fußball war. Der FCN ist ein handgemachter Verein, einer, dessen Fans fränkisch reden und der in einem Umfeld existiert, das weder in Bochum, noch in München (Allmächd!) noch in Hamburg existieren könnte. Jede Wette, dass es in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen größere Städte gibt, in denen es nicht so viele Kneipen gibt wie im Nürnberger Stadionumfeld Biergärten. Einer davon öffnet sogar im Dezember – vorausgesetzt, der Club hat ein Heimspiel. Bier gibt es in kleinen (halber Liter) oder normalen Gläsern (ein Liter), die Musik ist zu 10 Prozent Scheiße und zu 90 Prozent gitarrenlastig. Das passt auch bestens zum Club. Denn auch der ist Rock`n Roll und nicht Techno.
Nehmen wir die Fanlandschaft. Die umfasst nicht nur eine der größten Ultraszenen der Republik, aus deren Feder das extrem lesenswerte Fanzine »Ya basta« kommt, sondern auch tausende und abertausende Fans wie sie nur von Vereinen hervorgebracht werden, die schon 1953 oder 1971 eine Rolle im Fußball gespielt haben. Menschen aller Bildungs- und Besitzschichten, vom Siemens-Manager bis zum Dorftrottel und vom Dorfmanager bis zum Siemens-Trottel finden sich dort, Schnauzbärte und sogar echte Kutten gibt es zu sehen. Und natürlich den zahnlosen Leierkastenmann, der zwischen den S-Bahn-Gleisen und dem Stadion steht und immer so glücklich aussieht, wenn er irgendwann zwischen den Beatles und den Capri-Fischern die Club-Hymne leiern darf. Darin geht es um den »Fels in wilder Brandung«, der vielen Stürmen standhielt. In Nürnberg singen sie das Teil auch gerne, wenn überall nur noch Brandung ist – und statt der Felsen mal wieder wachsweiche Opportunisten und unmotivierte Kicker Dienst schieben. In ihrer trotzigen Liebe zum Verein sind die Nürnberger übrigens den Fürthern sehr ähnlich, dem zweiten sympathischen Urvieh unter den Fußball-Fabriken. Sagen darf man das aber weder den Grünen noch den Roten, bei der Nennung des jeweils anderen Vereinsnamens mutiert der ruhigste Franke zum Derwisch.
Dabei eint beide eine Beharrlichkeit, die sie beim Club jüngst sogar zu einer Werbe-Aktion genutzt haben: »Ich bereue diese Liebe nicht« stand da – ein Trotz, der all den Bayern- und Dortmund-Fans für immer fremd bleiben muss, weil für die Heimsiege gegen Hannover so spektakulär sind wie ein Butterbrot. Nun ist der Club abgestiegen, nach der Heimniederlage gegen Hannover war die Luft endgültig raus. Ein Fan hat das im Forum der »Nürnberger Nachrichten« sehr griffig formuliert: »Ich ertrage diese Liebe nicht«. Jede Wette, dass er sich im Sommer trotzdem wieder eine Dauerkarte kauft...
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