»Wir bringen ein Stück Lärm zurück«
Für den kommenden Montag ist die 100. Flughafen-Demonstration auf dem Airport in Frankfurt am Main geplant
Eine Stunde, dann ist der Spuk vorbei. Jeden Montag von 18 bis 19 Uhr lassen Lärmgegner im Terminal Eins des Frankfurter Flughafens lautstark ihren Frust ab. Sie reisen mit der S-Bahn aus der gesamten Rhein-Main-Region an, bringen Trommeln, Pfeifen und Tröten mit, drehen eine Runde durch das Gebäude und veranstalten ein Höllenspektakel. Am nächsten Montag soll das zum 100. Mal passieren. »Wir bringen ein Stück Lärm zurück«, sagt Dirk Treber, einer der Vertreter der Bürgerinitiativen rund um den Flughafen und Fluglärmgegner mit jahrzehntelanger Erfahrung.
Fast immer kommen mehrere Hundert Teilnehmer, manchmal wesentlich mehr. Und jahreszeitlich variiert das Programm: zu Weihnachten Besinnliches, zu Karneval Lustiges, außerdem gab es eine Lichterkette vor dem Terminal, Autorenlesungen, Politikerreden und viele musikalische Einlagen regionaler Gruppen - immer mit Bezug auf den Lärm der Flugzeuge.
Die in einem Bündnis zusammengeschlossenen rund 80 Initiativen wollen die 2011 eröffnete neue Landebahn wieder schließen lassen, sie sind gegen ein drittes Terminal, fordern eine Verlängerung des Nachtflugverbots und eine Begrenzung der Flugbewegungen. Zum Jubiläum werde es ein volles Haus geben, sagt Treber. Neben Bürgermeistern und Landräten wird auch Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) erwartet, der für nächstes Jahr eine zusätzliche Stunde Lärmpause durch wechselnde Auslastung der Rollbahnen in Aussicht gestellt hat.
Die Hartnäckigkeit der Demon-stranten, die mit Ortsschildern vom bayerischen Untermain bis Mainz die Breite der Bewegung zeigen wollen, hat sich gelohnt, obwohl bislang keine ihrer Kernforderungen erfüllt ist. Doch für den Lärmschutz wurden Programme in dreistelliger Millionenhöhe aufgelegt - allein der Flughafenbetreiber Fraport bringt nach eigenen Angaben rund 300 Millionen Euro auf. Der Umweltausgleich kostete rund 160 Millionen Euro. Erstmals gilt - höchstrichterlich abgesegnet - auf Deutschlands größtem Flughafen ein sechsstündiges Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr.
Zentrales Anliegen der Proteste ist der Lärm startender und landender Flugzeuge. Die Anwohner sehen hier die Grenze der Zumutbarkeit überschritten und fürchten ernsthafte gesundheitliche Schäden, ganz abgesehen von der Entwertung ihrer Häuser. Seit der Eröffnung der Landebahn gibt es zwar nicht unbedingt mehr Lärm, aber er wird durch Verschiebung der Flugrouten anders verteilt und trifft nun auch bisher weitgehend verschonte Gemeinden in der Region.
An- und Abflugverfahren wurden verändert, um den Lärm zu reduzieren. Anflugwinkel wurden vergrößert, Flughöhen angehoben. Aber die Initiativen sehen sich noch lange nicht am Ziel: Das Nachtflugverbot sei zwar vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden, aber es sei zu kurz, ein europaweites Verbot nächtlicher Flüge sei nicht erreicht worden, meint Treber. Und mit Geld allein sei Lärmschutz nicht zu machen. Die vom grünen Wirtschaftsminister zugesagte zusätzliche Lärmpause sei nicht nur unzureichend, sondern es bleibe auch höchst fraglich, wie sie zu verwirklichen sei. Die Initiativen fordern einen Politikwechsel, »und das ist leider nicht eingetreten«, sagt Treber. Immerhin sei das Thema in den Parlamenten angekommen.
Der Flughafenbetreiber Fraport - größte Anteilseigner sind das Bundesland Hessen und die Stadt Frankfurt am Main - nimmt die wöchentlichen Demonstrationen kommentarlos hin. Daran tue er auch gut, meint der Berliner Konfliktforscher Dieter Rucht. Es sei klug, keine Eskalation zu riskieren. Fraport muss die Demonstranten im eigenen Haus außerdem dulden: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat im Jahr 2011 in einem Streit über Proteste gegen Abschiebungen entschieden, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch im Flughafen Frankfurt gilt.
Und auch die Polizei hält sich zurück, nie habe es bei den Protesten im Terminal Zwischenfälle gegeben, sagt ein Sprecher. Die Bürgerinitiativen ihrerseits bescheinigen der Einsatzleitung vorbildliches Verhalten. »Die Polizei hat dazugelernt, es ist ein ganzes Stück gelebte Demokratie«, sagt Fluglärmgegner Treber. Das sei bei den Protesten gegen die Frankfurter Startbahn West vor 30 Jahren noch ganz anders gewesen. Damals war die Situation eskaliert, es gab Zusammenstöße, zwei Polizisten wurden erschossen.
»Dort war das Ganze mehr parteipolitisch geprägt«, meint Protestforscher Rucht. Er sieht für die aktuellen Montags-Demos andere Motive. Die Teilnehmer seien von einer ganz konkreten Frage betroffen und sortierten sich nicht in dem üblichen Parteienspektrum ein. Was sie vor allem auszeichne, sei die große Betroffenheit durch ihre örtliche Gebundenheit. »Man müsste ja wegziehen, um sich das Problem vom Hals zu schaffen, und das können viele nicht, weil sie verwurzelt sind und viele auch Eigentum erworben haben.« dpa/nd
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