Traktorextremismus

Niedersachsens Verfassungsschutz soll rechtswidrig gespeicherte Personendaten löschen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Massenhaft hat Niedersachsens Verfassungsschutz zur Zeit der schwarz-gelben Regierung rechtswidrig Daten gespeichert. Das belegt eine vom jetzigen Innenminister angeordnete Untersuchung.

Verdächtig waren dem Inlandsgeheimdienst bereits Menschen, die im Kurstädtchen Bad Nenndorf gegen Naziaufmärsche protestierten und sich dabei auf die Straße setzten. Das genügte, um zur Amtszeit von Innenminister Uwe Schünemann (CDU) im Datenspeicher des Verfassungsschutzes zu landen. Zu Unrecht sei dies geschehen, befand eine Task Force, die Innenminister Boris Pistorius eingesetzt hatte. Sie sollte prüfen, ob und in welchem Umfang der Verfassungsschutz unzulässig Erkenntnisse gesammelt hatte.

»Erschreckend« sei das Ergebnis, sagte Pistorius und legte dem Landtag gestern Zahlen vor: Von rund 9000 Speicherungen müssen 2000 aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit sofort gelöscht werden, befand die Task Force. Rund 500 dieser Daten sind dem linken, 700 dem rechtsextremen Bereich zugeordnet und 800 dem Islamismus. Weitere 1600 Speicherungen sollen zeitnah getilgt werden, weil sie »nicht mehr erforderlich« sind.

Der Bericht der Untersuchungsgruppe zeigt, wie emsig sich Schünemanns Spitzel um Frauen und Männer kümmerten, die nichts weiter verbrochen hatten, als ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen. Bei der Hatz auf vermeintliche Staatsfeinde aus der linken Ecke wurde etwa ein Landwirt datenmäßig erfasst, weil er mit seinem Traktor den Protest gegen Atommülltransporte nach Gorleben unterstützte. »Das mag zwar ein Fall für die Polizei sein - linksextremistisch ist das aber noch lange nicht«, betonte Pistorius. Gespeichert, so berichtete er weiter, hatte der Verfassungsschutz auch die Daten einer Studentin, »nur weil sie in einem von der Polizei bewerteten Szeneobjekt wohnte - das war alles«. Nicht mal ein V-Mann aus jener Szene habe die Frau gekannt.

Selbst das Grundrecht auf freie Religionsausübung ignorierten die Geheimdienstler offensichtlich unter Uwe Schünemanns Ägide. Besuchten Muslime regelmäßig eine »verdächtige« Moschee zum Freitagsgebet, so war das für die Datensammler Grund genug, diese Gläubigen zu speichern. Als weiteres »erschreckendes Beispiel« erwähnte der Innenminister eine Frau, deren Telefonnummer auf dem Handy eines Kalifatstaat-Befürworters gespeichert war. So schlimm war das für die Nachrichtendienstler, dass sie die Daten der Frau erfassten. Doch ihr war nichts Böses nachzuweisen. »Es hätte die Fußpflegerin des Mannes gewesen sein können«, bemerkte Pistorius.

Auch vor gewählten Volksvertretern machten die Verfassungsschützer nicht Halt, wie der Bericht der Task Force beweist. Sie fand Namen von Politikern der LINKEN im Speicher des Nachrichtendienstes. Mitglieder des Bundestages waren darunter ebenso wie Abgeordnete des Europäischen Parlaments und des Landtages. Solche Speicherung sei rechtswidrig, schreibt die Untersuchungsgruppe.

Zu den unerlaubt Gespeicherten zählen auch Minderjährige. Ihre Daten hätte der Verfassungsschutzbehörde nur sichern dürfen, wenn die jungen Menschen durch Gewaltbereitschaft aufgefallen wären.

Eingesetzt hatte Pistorius die Task Force, nachdem der neuen Präsidentin des Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, im Herbst 2013 fragwürdige Speicherungen aufgefallen waren. Jahrelang hatte die Behörde unzulässig Daten von Journalisten gebunkert. Dies hatte seinerzeit ebenso für Aufregung gesorgt wie das Bespitzeln eines Rechtsanwaltes und einer Mitarbeiterin der grünen Landtagsfraktion.

Die Linksfraktion im Bundestag erkundigte sich auch bei der Bundesregierung mit Kleinen Anfragen danach, wie viele Journalisten, Rechtsanwälte und Ärzte »in den Datenbanken der Bundesnachrichtendienste« erfasst sind. Laut Antwort der Bundesregierung könne sie darauf keine Angaben machen, da es »weder im Bundesamt für Verfassungsschutz noch im Bundesnachrichtendienst eine statistische Erfassung der erfragten Speicherung von Datensätzen mit den bezeichneten Berufsgruppenangaben« gebe.

In Niedersachsen sollen die Eskapaden des Verfassungsschutzes der Vergangenheit angehören. Es gelte, den Verfassungsschutz zu reformieren, unterstrich Pistorius. Der Dienst müsse transparenter arbeiten und seine Aufgabe »klarer an den Grundrechten ausrichten«. Gewährleisten soll das ein neues Gesetz, dessen Entwurf der Innenminister im September vorlegen will. Vermutlich wird es die rot-grüne Koalition allein verabschieden, denn: Die Opposition gab sich schon gestern widerborstig. So verteidigte CDU-Mann Jens Nacke die Spitzelpraxis, die zur schwarz-gelben Regierungszeit an Moscheen gang und gäbe war: Durch diese Arbeit des Verfassungsschutzes könnten Menschen davor bewahrt werden, »in die Fänge religiöser Hassprediger zu gelangen«.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -