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Die Aura vom Sofa

Theatertreffen Berlin: Herbert Fritschs Nonsense-Oper »Ohne Titel Nr. 1«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Nur raus! Nur weg! Ganz schnell! Und sofort! Raus aus der Sinnschleife, weg vom Feingeist, ganz schnell hinein in den grübelfreien Witz, und sofort Grimasse statt Gesicht! So, jetzt ist die andere Welt endlich erreicht: bonbonbunt und bardenblöd, hyperhüpfig und puppenpiepsig.

Dass in den letzten Jahren der Regie-Harlekin Herbert Fritsch wie eine Kaltquellenwaschung über die deutsche Theaterszene kam - es legt ein geradezu besorgniserregendes Bedürfnis frei: nach unbeschwerter Komik, die nur tolltumb und dolldreist sein will. Spiel auf der totalen Klamauk-Klaviatur. Als müsse man endlich Beckett und Boulevard, Tragödisches und Triviales lechzend verzwirbeln und lüstern verwirbeln. Lustigste Lemuren, klopsigste Kasper und graziöseste Gespenster - in diesem Theater stirbt der heilige Ernst, und Fritsch vollstreckt das Urteil, er ist der aktuell begehrte Nonsensenmann.

»Ohne Titel Nr. 1. Eine Oper von Herbert Fritsch«, Volksbühne Berlin - einziger Hauptstadtbeitrag zum Theatertreffen. Na und? Hunderte von Theatern sind gar nicht beteiligt - so kann man das auch mal sehen, oder? Also: Gratulation für Berlin, und von Berlin übrigens steckt eine Menge in Fritsch: In seinem Rampen-Rausch, in seiner Bretterbuden-Beseeltheit ist er doch ein gut Stück Peymann, und Castorf war die Hexenküche, die ihn formte. Was er nun als Oper bietet, ist ein Orchestergraben-Aufmarsch der Dilettanten, die vom Komponisten Ingo Günther dirigiert werden - ein schräger, schriller, schrapsender, scheppernder Melodienversuch, bis dann drei Musiker übrig bleiben und der große Rest auf die Bühne wechselt: Eine Choreografie, bei der Tänze gegen den Taumel antreten, das Schleichende gegen das Schnellende, das Elegante gegen das Elefantöse.

Worum es geht? Erst mal gehen alle auf vorsichtige oder vorwitzige Weise um ein gigantisches hölzernes Sofa herum, das die Bühnenmitte beherrscht. Ein Berg ist das, den man besteigt. Oder ein Schiff, an dessen Reling (der Rücklehne) man ins Wesenlose starren, seufzen, singen kann. Ort und zugleich Unort - und der Schlüssel zu Fritschs grandioser Raffinesse: Dieses mobiliare Utensil strahlt in seiner massiven Konkretheit zugleich eine Aura der Abstraktion aus, dass man alles, aber auch alles, und zwar ohne Verkrampfungsmühe, hineininterpretieren kann. Das Ding an sich, und das Ding als alles, was größer ist als wir selber. Größer, bedrohlicher, einladender. Und davor die wunderbar absurden, gespreizten, geschmeidigen Solonummern der »Sänger«gilde. Auch: nichts und alles. Philosophie trifft Kindergarten. Lauter Kämpfe gegen die Tücke des Objekts, das man sich selber ist. Mal pompös, mal mit Pups, mit Zungenartistik und als Zappelphilippika.

Am Ende ziehen sich die Bunten um: nun Braun. Wie das Sofa. Wie frische fruchtbare Erde. Die eben noch gaukelten, legen sich flach. Letzter Wunsch: eins zu werden mit allem Natürlichen. Sie werden wieder hoch müssen. Kunst steht immer wieder auf. Und sei es erst mal »nur« für den Applaus.

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