»Verfassungsrechtliche Risiken«
Wenige Tage vor der Bundestagsabstimmung macht das Rentenpaket Negativschlagzeilen
Für Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ist die Sache klar: Die geplante Rentenreform sei »eine wichtige Weichenstellung für mehr soziale Gerechtigkeit«, betonte die Ministerin am Donnerstag in Berlin. »Deswegen muss das Rentenpaket nächste Woche die Mehrheit im Bundestag bekommen - und wird sie auch bekommen.« Doch so sicher ist das nicht. Vor allem in der Union hatte es erheblichen Widerstand gegen die von der SPD durchgedrückte Rente mit 63 gegeben. Sie soll es Arbeitnehmern ermöglichen, nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in den Ruhestand zu gehen. Vertreter des Wirtschaftsflügel der Union fürchteten eine »Frühverrentungswelle«, weil auch Zeiten der Arbeitslosigkeit angerechnet werden sollen. In einem Papier von 30 jungen CDU-Politikern um den Bundestagsabgeordneten Jens Spahn heißt es, die Rente mit 63 setze »das falsche Signal«.
Schließlich einigten sich Union und SPD nach zähen Verhandlungen auf einen Kompromiss. Eine »rollierende Stichtagsregelung« soll verhindern, dass sich Arbeitnehmer bereits mit 61 arbeitslos melden und dies bis Rentenbeginn auch bleiben. Doch ausgerechnet dieser Kompromiss könnte verfassungswidrig sein, heißt es in einer Stellungnahme der Ministerien für Inneres, Justiz und Arbeit, aus der die »Ruhr Nachrichten« am Donnerstag erstmals zitierten. Die Stichtagsregelung sieht vor, dass Zeiten von Arbeitslosigkeit nur bis zwei Jahre vor dem Renteneintritt anerkannt werden. Eine solche Ausschluss-Regelung könne »auch Personen erfassen, bei denen kein Mitnahmeeffekt vorliegt und deren Arbeitslosenzeiten nach der Entscheidung des Gesetzgebers potenziell berücksichtigungsfähig sind«, so die Experten. Sie sehen hier »verfassungsrechtliche Risiken« und einen möglichen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes. Beim »rollierenden Stichtag« müsse plausibel begründet werden, »dass es sich bei Vorliegen von Arbeitslosigkeit zwei Jahre vor Rentenbeginn in der Regel um eine verschuldete Arbeitslosigkeit handelt«. Eine solche Begründung »könnte unter Umständen mit Schwierigkeiten behaftet sein«, fürchten die Experten aus den Ministerien.
Doch nicht nur die Rente mit 63 ist umstritten. Auch der zweite große Posten des Rentenpakets, die von der Union forcierte Mütterrente, sorgt für Diskussionen. So hat eine am Mittwoch veröffentlichte Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergeben, dass die Mütterrente ausgerechnet den bedürftigsten Frauen nicht hilft. Zwar begünstige das Modell Mütter mit geringen und mittleren Einkommen, so das DIW, aber jene 300 000 Rentnerinnen, »die in der Grundsicherung verbleiben, profitieren nicht«, da die Mütterrente »voll auf die Grundsicherung angerechnet« werde. Auch Frauen, die »durch die Mütterrente weniger als 30 Euro im Monat pro Kind aus der Grundsicherung herauswachsen«, haben nichts von der Reform. Das DIW verweist darauf, dass Rentnerinnen mit höheren Einkommen »voll« von der Reform profitieren.
Zudem betonen die DIW-Forscher, dass die Mütterrente den Rentenbeitragssatz bis 2018 um etwa 0,3 Prozentpunkte erhöhen werde. Gleichzeitig reduziere sich das Bruttorentenniveau um 0,4 Prozent. Da ab 2019 der Bundeszuschuss schrittweise erhöht werden soll, »werden die längerfristigen Wirkungen auf Beitragssatz und Rentenniveau geringer ausfallen, eventuell aber die Steuern erhöht werden müssen«, so die Forscher. Allerdings holt sich Vater Staat einen Teil der Summe zurück: Von den 6,7 Milliarden Euro, die pro Jahr für die Mütterrente eingeplant seien, verblieben nur etwa 5,3 Milliarden Euro bei den Pensionärinnen. Der Rest fließe über höhere Sozialbeiträge, Steuern oder eingesparte Transferzahlungen wieder an den Staat zurück, so die Wissenschaftler. Kommentar Seite 4
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