Der Sandmann darf bleiben
Hubertus Knabe und CDU-Politiker wollen DDR-Symbole verbieten
Ein Raunen geht durch das Publikum im Berliner Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums. Soeben hat auf dem Podium der frühere DDR-Flüchtling und Fluchthelfer Hartmut Richter eine Konservendose hervorgeholt, auf der ein Zeichen der Jungen Pioniere zu sehen ist. »Das soll wohl witzig sein«, sagt Richter empört. In der Runde der Referenten wird die Dose herumgereicht und begutachtet. Als der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Wegner sie in der Hand hält, schüttelt er fassungslos den Kopf. Auch der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, verzieht das Gesicht. »Hierbei handelt es sich um den Versuch, eine Art Verkaufserfolg zu erzielen«, klärt Knabe die Zuschauer auf.
Wenn es nach ihm geht, sollen solche »Ostalgieprodukte« künftig aus dem Verkehr gezogen und Symbole der DDR nicht mehr »missbräuchlich« öffentlich zur Schau gestellt werden. Dazu zählen das Staatswappen der DDR, das Wappen des Ministeriums für Staatssicherheit und Uniformen der NVA. Auch auf einer harmlos wirkenden Konservendose können die Symbole aus Sicht von Knabe großes Unheil anrichten. Ohne seine Ausführungen zu belegen, meint er, dass der unbeschwerte Umgang mit Symbolen der DDR bei »Opfern der SED-Diktatur« das Gefühl verstärke, »mit ihrer Einstellung zum politischen System der DDR abseits der Gesellschaft zu stehen«. Es komme oft zu einer Retraumatisierung und zu dauerhaften psychischen Erkrankungen. Bei den ebenfalls aus der DDR stammenden Figuren Sandmann und Ampelmännchen kann Knabe hingegen Entwarnung geben. Diese sind ungefährlich und sollten nicht verboten werden.
Wie die Verbotspläne umgesetzt werden können, diskutiert der Historiker an diesem Mittwochnachmittag mit drei CDU-Politikern, dem »Welt«-Journalisten Sven-Felix Kellerhoff, Hartmut Richter und Birgit Neumann-Becker, Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in Magdeburg. Kritische Gegenstimmen sind offenbar nicht erwünscht. Unter die zahlreich erschienenen ergrauten Vertreter der Opferverbände im Publikum, von denen einige gelbe Schleifen als Zeichen der Solidarität mit Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz oder eine schwarz-rot-goldene Nadel an ihren Jacketts tragen, mischen sich allerdings wenige alternativ gekleidete Menschen. Einer von ihnen unterbricht die Ausführungen von Wegner, als dieser gerade im Unterschied zur DDR »Frieden und Freiheit in der Bundesrepublik« lobt. »Mit dem Frieden hat es nicht so richtig geklappt«, ruft der langhaarige Mann aus dem Publikum und lacht laut. Ansonsten verläuft die Veranstaltung mit zum Teil wirren Redebeiträgen ohne Widerreden. Auch für die angekündigte Diskussion mit dem Publikum bleibt letztlich aufgrund der ausführlichen Monologe von Knabe keine Zeit mehr.
Die Kämpfer gegen die DDR-Symbole wissen, dass es nicht einfach wird, diese in der Öffentlichkeit zu ächten. In der CDU gibt es zwar Befürworter, aber sie müssen sich mit ihrem Koalitionspartner absprechen. Vergangenes Jahr lehnte die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein Verbot ab. Die FDP-Politikerin hatte dies damit begründet, dass das Ziel der Aufarbeitung nicht sein könne, die Unrechtstaten des SED-Regimes mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus gleichzusetzen. So sieht es auch die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, vom neuen Unions-Koalitionspartner SPD.
Die Diskutanten im Zeughauskino haben kein Verständnis dafür, dass nur Symbole der Nazis verboten sind. »Wir fühlen uns als Opfer zweiter Klasse«, platzt es aus Hartmut Richter heraus. Er war in der DDR zu 15 Jahren Haft verurteilt, nachdem ein Kontrollposten 1975 seine Schwester im Kofferraum seines Autos entdeckte. 1980 kaufte ihn die Bundesregierung frei. Ist das wirklich ein Schicksal, das vergleichbar ist mit Erlebnissen von gefolterten NS-Opfern, deren Freunde und Angehörige aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder politischen Ansicht massenweise ermordet worden sind? Alle Anwesenden auf dem Podium sehen das so. »Vergleichen führt nicht unbedingt zur Gleichsetzung. Wir können und dürfen die NS-Zeit mit der DDR vergleichen«, sagt der Springer-Journalist Kellerhoff. Doch die Bundesrepublik geht mit NS-Zeit und DDR unterschiedlich um. Der CDU-Abgeordnete Philipp Lengsfeld erinnert daran, dass SED, NVA und FDJ im Unterschied zur NSDAP und zur SS nicht verboten sind.
In seine Verbotspläne würde Knabe auch gerne Hammer und Sichel sowie den fünfzackigen roten Stern aufnehmen. Zerknirscht muss er aber einräumen, dass ein Verbot dieser Symbole, wie es etwa in Litauen besteht, wegen rechtlicher Probleme nicht leicht auf Deutschland übertragbar ist. Denn diese »Schlüsselsymbole des Kommunismus« werden laut Knabe hierzulande von legalen »linksextremistischen Organisationen« verwendet. Auch die niederländische Brauerei Heineken findet den roten Stern nicht verwerflich und benutzt ihn als Wappen.
Die Bußgelder beim Zuschaustellen kommunistischer Symbole im Baltikum sieht Knabe als Vorbild. »In Lettland muss man 350 Euro zahlen. In Litauen gibt es eine ähnliche Regelung«, schwärmt er. Dass die Umdeutung der Geschichte dazu geführt hat, dass viele Balten die mit den deutschen Nazis verbündeten SS-Mörderbanden aus den eigenen Ländern inzwischen als Freiheitskämpfer gegen den Kommunismus sehen, lässt Knabe unerwähnt.
Am Ende sind sich alle weitgehend einig, dass man auch das gesellschaftliche Klima ändern müsse, um die Symbole zu verbieten. Eine Idee, wie man die Bürger antikommunistisch erziehen kann, hat CDU-Mann Wegner: »Es wäre gut, wenn jeder verpflichtet wäre, einen Ausflug in die Gedenkstätte Hohenschönhausen zu machen. Dann bewertet man die DDR anders als vorher.«
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