Wie aus der Zeit gefallen
Opatija an der kroatischen Rivera hat sich seinen historischen Charme erhalten. Von Heidi Diehl
Beim Aufwachen ist noch alles ganz zeitgemäß - die Klimaanlage summt leise, an der Wand hängt ein Flachbildschirm, und dank Wi-Fi kann man schnell noch vor dem Frühstück die E-Mails durchsehen. Doch mit dem Betreten des Restaurants scheint sich die Zeit schlagartig 150 Jahre zurückzudrehen: »Küss die Hand, gnä' Frau, hatten Sie eine geruhsame Nacht?«, säuselt der befrackte Oberkellner mit einer tiefen Verbeugung. Er rückt den Stuhl zurecht, erkundigt sich formvollendet nach speziellen Wünschen und eilt dann flink davon, um sie umgehend zu erfüllen. Unauffällig scannt die Hofierte den Raum mit den Augen nach versteckten Kameras ab, möglicherweise ist sie ja unerwartet zur Komparsin in einem Historienschinken geworden.
Doch nichts dergleichen - in der Villa Sv. Jakov inmitten des gepflegten St. James Parks von Opatija wird jeder Gast so aufmerksam behandelt, soll sich fühlen, wie einst der Wiener Arzt Julius Glax und seine Familie, der die Villa 1886 als Feriendomizil an der Adria erbauen ließ. Zwei Jahre zuvor hatte in dem Fischerdorf am Fuße des Učka-Gebirgsmassivs mit dem »Kvarner« das erste Hotel eröffnet. Noch heute empfängt es unter dem gleichen Namen seine Gäste, die sich hier ebenso aus der Zeit gefallen fühlen wie die der Villa Sv. Jakov oder vieler anderer Häuser im einstigen mondänen Seebad der Donaumonarchie.
Bis 1844 ging es in dem Fischerdörfchen Volosko beschaulich zu. Dann erwarb der Kaufmann Iginio Scarpa die Halbinsel in der Region Kvarner für einen Spottpreis und ließ sich unweit des ehemaligen Benediktinerklosters eine schmucke Villa als Sommerfrische bauen, die er nach seiner früh verstorbenen Frau Angiolina benannte. Drumherum entstand ein prachtvoller Park mit einer Vielzahl von exotischen Gewächsen, der bis heute Pflanzenliebhaber aus aller Welt anzieht. Standesgemäß lud Scarpa sich gern und oft honorige Gäste ein, um rauschende Feste zu feiern.
Das Leben in dem Fischerdorf um das alte Abbazia (Opatija), was nichts anderes heißt als Kloster, berührte das jedoch kaum. Erst 1884, als die Eisenbahn Wien-Triest bis nach Opatija verlängert wurde, weil sich dessen mildes Winterklima herumgesprochen hatte, war es endgültig mit der Ruhe vorbei. Nur fünf Stunden brauchte man von Wien bis an die Adria. Noch im gleichen Jahr entstand das erste Hotel, viele folgten und noch mehr private Villen in allen möglichen Stilrichtungen. Wer es sich leisten konnte, verbrachte den Sommer in Abbazia - Adelige, Großbürger und Künstler. Allen voran die Habsburger. Die lokalen Medien überschlugen sich, wenn mal wieder ein Mitglied der kaiserlichen Familie von Wien anreiste. So berichtete 1885 die Lokalpresse, dass das österreichisch-ungarische Kronprinzenpaar Rudolf und Stefanie »einem Glück verheißenden Doppelgestirn vergleichbar« die Villa Angiolina bezogen habe.
1889 wurde das vom Fischerdorf zur mondänen Hafenstadt gewandelte Abbazia offiziell »Curort«. Sanatorien, Seebäder und Hotels schossen wie Pilze aus dem Boden. Namhafte Mediziner, wie Julius Glax, priesen die Heilwirkung von Luft und Wasser in den höchsten Tönen und erschlossen sich so eine neue lukrative Einnahmequelle. Für die Reichen und Schönen der Wiener Gesellschaft bot die Region ein neues Umfeld, sich selbst und ihren Reichtum vorzuführen. Dass dabei völlig gegensätzliche Welten aufeinanderprallten, war unausweichlich. Voller Empörung beäugte die feine Gesellschaft, dass sich die »Eingeborenen« freizügig im Meer bewegten: Männer und Frauen zusammen und - wie schamlos - die Männer sogar splitternackt! Die Proteste waren derart laut, dass Baden ohne Hose strikt verboten wurde, Kinder mussten in Tücher gehüllt werden und Frauen beim Baden Kleider tragen.
Darüber kann man heute nur noch schmunzeln, jeder hält es so, wie es ihm gefällt. Obwohl man sich beim Baden immer auf dem Präsentierteller bewegt. Denn direkt am Meer entlang führt der wohl schönste vorstellbare Laufsteg, der Lungomare, die zwischen 1889 und 1911 erbaute zwölf Kilometer lange Küstenpromenade Opatijas zwischen Volosko und Lovran. Sie ist Treffpunkt für alle: für Jogger als tägliche Trainingsstrecke, für Spaziergänger als beliebte Bummelmeile, für Verliebte als romantischer Treffpunkt, für jeden als kürzeste Verbindung zwischen den einzelnen Ortsteilen, und sie ist ein Freilichtmuseum vom Feinsten. Denn wie blank polierte Perlen reihen sich die in den letzten 20 Jahren bestens sanierten Villen aus den letzten rund 150 Jahren entlang des Lungomares. In den dazugehörenden großzügigen Gärten wetteifern üppig blühende Pflanzen um die schönsten Farben und lieblichsten Düfte.
Die prachtvollsten Häuser stehen ganz im Umfeld der Villa Angiolina, mit der der Tourismus in der Region begann. Und dennoch schafft es eine erst 58 Jahre alte Plastik, ihnen die Show zu stehlen: »Das Mädchen mit der Möwe«, Opatijas Wahrzeichen. Elegant steht sie auf einem Felsen, von wo aus sie Besucher an Land ebenso begrüßt wie die Menschen, die sich vom Meer her der Stadt nähern. Das schöne junge Mädchen - dessen Modell der Bildhauer Zvonko Car in der Nachbarschaft fand - ersetzt die »Madonna del Mare«, die 1891 von der Familie des Grafen Arthur Kesselstadt gespendet wurde, der an einem stürmischen Frühlingstag von der Adria verschluckt wurde. Als das Meer später auch der steinernen Madonna arg zusetzte, wurde sie vom Sockel gehoben. Saniert ist sie heute im Tourismusmuseum in der Villa Angiolina zu sehen.
Infos:
Opatia: www.opatija-tourism.hr
Tipp:
Die Buslinie 32 fährt parallel zur Küstenpromenade »Lungomare«, so dass müde Wanderer bequem mit dem Bus zurückfahren können.
Kroatische Zentrale für Tourismus: www.kroatien.hr
Kvarner Region: www.kvarner.hr
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