Indien: Modi erreicht absolute Mehrheit

Mahnende Stimmen nach Wahlsieg des Hindu-Nationalisten / Grüne: Wahlsieger muss religiöse Vielfalt schützen / Linke: Marktradikaler Heilsbringer könnte soziale Spannungen verstärken

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Berlin. Nach dem Erreichen der absoluten Mehrheit für die Hindu-Nationalisten um Narendra Modi bei den Parlamentswahlen in Indien sind in Deutschland mahnende Stimmen laut geworden. Wahlsieger Modi sei »nun in der Pflicht, einen echten Aufbruch schaffen: Statt zu polarisieren, muss er die religiöse Vielfalt des Landes schützen und für eine bessere Integration sorgen«, erklärte der Grünen-Politiker Omid Nouripour. Viele vor allem junge Inder »erwarten zu Recht, dass Modi die Korruption effektiv bekämpft und mehr wirtschaftliches Wachstum schafft«, so der Außenpolitiker. Modi habe aber auch »eine besondere Verantwortung zur Mäßigung auch mit Blick auf Indiens Nuklearpolitik, im Konflikt mit Pakistan und im Verhalten im Kaschmir-Konflikt«.

Der Linkenpolitiker Stefan Liebich kommentierte den Wahlausgang mit den Worten, »Indiens Wähler erlagen blumigen Versprechungen und votierten mehrheitlich für einen marktradikalen Heilsbringer«. Die Versprechungen des Hindu-Nationalisten Modi lauteten zwar mehr Wohlstand, weniger Korruption - sein Dogma dafür heiße aber »radikale Marktwirtschaft«. Der Außenpolitiker der Linksfraktion im Bundestag verwies auf das politische Erbe des langjährigen Regierungschefs des westindischen Bundesstaats Gujarat. Der sei »geprägt ist von wachsender Ungleichheit, blutigen religiösen Konflikten, massiven Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte und einer rücksichtslosen Wirtschaftsstätigkeit«, so Liebich. Er fürchte »in der größten Demokratie der Welt ein weiteres Anwachsen der sozialen Spannungen«.

Die Partei BJP hatte bei den Parlamentswahlen, die mehrere Wochen liegen, eine absolute Mehrheit erreicht. Sie sicherte sich nach vorläufigen Angaben der Wahlkommission aus der Nacht zum Samstag mindestens 279 der 543 Sitze im Unterhaus. In der weltgrößten Demokratie hatte es seit drei Jahrzehnten keine Partei mehr geschafft, alleine zu regieren. Das vorläufige Endergebnis wird voraussichtlich am Samstag bekanntgegeben. Die größte Demokratie der Welt habe sich für den »sanften Faschismus« entschieden, zitieren auch deutsche Zeitungskommentatoren das Massenblatt »Times of India«. Das Land, das als Vorbild für das Zusammenleben verschiedener Religionen und Völker galt, werfe die Tradition der Toleranz über Bord.

Viele der 1,2 Milliarden Inder erhoffen sich von der neuen Führung wieder mehr Wachstum, Entwicklung und neue Jobs, so formuliert es die Nachrichtenagentur dpa. Die bislang regierende Kongresspartei der Gandhi-Familie, die das Land seit langem prägt, räumte ihre Niederlage ein. Modis Gegner sehen in dem neuen starken Mann Indiens einen intoleranten, autoritären Machtmenschen. »Er ist teuflisch und zerstört jeden, den er als Gefahr empfindet«, sagt der Journalist R.K. Mishra. Besonders die Muslime in Indien, die rund 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zittern vor dem Hindu-Nationalisten. Unter seiner Regionalregierung im Bundesstaat Gujarat metzelten Hindu-Mobs mehr als 1.000 Muslime nieder, vergewaltigten, verstümmelten und verbrannten. Politische Studien bewerten die Unruhen als »Pogrome«, weil sie staatlich gelenkt worden seien.

Gewählt wurde Modi unter anderem von den zahlreichen jungen Indern. Sie hoffen, dass Modi die dringend benötigten Jobs in der Industrie schafft. Außerdem bietet Modi viel Raum für Identifikation: Er stammt aus einer niedrigen Kaste, wuchs in einfachen Verhältnissen in der Tempelstadt Vadnagar auf und half seinem Vater, am Bahnhof Tee zu verkaufen. Heute tritt Modi in maßgeschneiderter Kleidung und randloser Designerbrille auf. Sein kometenhafter Aufstieg begann im Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), einer nach faschistischem Vorbild gegründeten Freiwilligenorganisation, die an die Hegemonie des Hinduismus glaubt. Dort stieg er vom Putzmann bis in die höchsten Ebenen auf.

»Unter der Anleitung des RSS verfeinerte Modi seine Fähigkeiten, Menschen zu leiten und Organisationssysteme zu gründen«, schreibt der Modi-Biograf Nilanjan Mukhopadhyay. In den späten 1980er Jahren schickte ihn der RSS zur Schwesterorganisation BJP, der Bharatiya Janata Party. Dort machte Modi laut Mukhopadhyay durch seine Organisationskünste von sich reden und bekam nach und nach mehr Verantwortung übertragen. Schließlich wurde er in Gujarat dreimal in Folge zum Ministerpräsidenten ernannt. Heute nennt ihn der Großindustrielle Anil Ambani einen »König unter Königen«. Kritiker aber sagen, vieles am Modi-Bild sei guter Image-Pflege und PR-Arbeit zu verdanken. So seien weniger beeindruckende Wahrheiten über Gujarat - wie die hohe Schulabbrecherquote - gezielt heruntergespielt worden, sagt Ajay Dandekar, Geschichtsprofessor an der Shiv Nadar Universität.

Die USA haben Modi inzwischen zu seinem Wahlsieg in Indien gratuliert. Regierungssprecher Jay Carney sprach am Freitag in Washington von einer historischen Abstimmung. Man gehe davon aus, dass man auch mit dem künftigen Premierminister und seiner Regierung eng zusammenarbeiten werde, sagte Carney auf Fragen von Journalisten. Neu Delhi und Washington unterhielten enge bilaterale Beziehungen, die auf gemeinsamen demokratischen Werten beruhten. Agenturen/nd

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