Die Sterne leuchten - näher als jemals zuvor

Klinsmann und die DFB-Kicker beglücken sich und Fans mit Platz 3

Es war ein besonderer Moment, wie ein Dankeschön, das nur den Spielern galt: Als am Sonnabend über dem Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion das donnernde Feuerwerk den Nachthimmel erhellte, konnten nur ein paar Fans in den Kurven des in Dunkelheit getauchten Stadions einen Blick erhaschen auf jene Lichtershow, mit der die deutsche Mannschaft und ihr 3:1 (0:0) im Spiel um Platz drei gegen Portugal gefeiert wurden. Die DFB-Spieler im Mittelkreis hingegen hatten die beste Sicht und genossen das Spektakel am Sternenhimmel so vergnügt, wie sie die vergangenen vier Wochen durch das Turnier spaziert waren. Mit ihrem vielleicht besten Auftritt bei dieser WM hatte die deutsche Mannschaft ihren Frieden gefunden nach dem enttäuschenden Halbfinal-Aus - dank eines beherzten Auftritts und eines überragenden Bastian Schweinsteigers, der im Alleingang alle drei Tore besorgte: das 1:0 per 25-m-Knaller in der 56. Minute, das 2:0, bei dem der Portugiese Petit den Freistoß des Münchners ins eigene Tor lenkte (61.), und das 3:0 in der 78. Minute, wiederum mit einem Schuss aus der Distanz. Auch ohne Ballack, Mertesacker und Lehmann - dafür mit Kahn, Nowotny und Kehl - wurden die Portugiesen bezwungen. Ein perfekter Abschluss. Bald darauf gingen die DFB-Spieler in die Ehrenrunde, die jeder auf seine eigene Art genoss. Miroslav Klose klatschte mit seinen Fußballschuhen, mit denen er seinen bisherigen fünf Toren an diesem Abend kein weiteres hinzufügen konnte. Keeper Oliver Kahn zelebrierte seine letzte Runde im letzten DFB-Spiel genießerisch inmitten eines Fotografen-Rudels. »Ich konnte mich in diesem Spiel noch einmal auszeichnen, besser kann man es nicht bekommen«, sollte Kahn später nach dem Abschied aus der Nationalelf sagen. Das Publikum sang derweil beseelt »Stuttgart ist viel schöner als Berlin!« und belagerte in der Nacht zu Tausenden das Steigenberger-Hotel am Hauptbahnhof, vor dem der rot-gelbe Bus mit der Aufschrift »Für Deutschland, durch Deutschland!« parkte. Ab und an erschienen Spieler am Fenster - dann tobten die Massen. In der Hauptstadt gab es gestern die Feier der Hunderttausende, die jedoch den Bundestrainer Jürgen Klinsmann wie erwartet nicht dazu bewegen konnte, sich auf eine Zukunft als deutscher Nationalcoach festzulegen, ebenso wenig wie am Vorabend der herzhafte Kuss von Angela Merkel und die direkte Aufforderung von OK-Chef Franz Beckenbauer. »Gebt mir ein paar Tage Zeit«, rief der 41-Jährige am Sonntag den Fans zu. Die Spekulationen über Klinsmanns Zukunft werden wohl noch ein paar Tage andauern. Für Mitte der Woche allerdings kündigte Teammanager Oliver Bierhoff das nächste Treffen an. Vorher wird also noch über diese WM gestaunt werden, die als Fest die Menschen allerorten so begeisterte, deren sportlicher Wert jedoch durch Torarmut, Taktikschlachten und Karten-Überfluss entschieden gemindert wurde. Die Fans in Deutschland konnten sich nicht an brasilianischem Angriffszauber oder argentinischer Kombinationskunst berauschen, stattdessen aber an der eigenen Feierfreude, an der eigenen Fahne und am eigenem Team, dem für seine mutige, gradlinige Vorwärtstaktik die Herzen aus aller Fußball-Welt entgegenflogen. Klinsmanns Auto-Suggestion funktionierte fast bis zum Schluss: Ihr seid gut, vermitteltete der Positiv-Denker seinen Spielern immer wieder. In der Qualifikation zur EM 2008 wird sich zeigen, ob der Kader tatsächlich die Beständigkeit und Klasse hat, die man ihm nach diesem WM-Verlauf zutraut - ob nun mit oder ohne Klinsmann. »Große Spiele machen süchtig« , sagte Jens Lehmann, »wenn ich fit bleibe, werde ich vielleicht weitermachen.« Dass der Bundestrainer in ähnlicher Weise abhängig vom Erfolg ist, war bei der WM 2006 zu erleben. Ein Ziel ist verpasst, ein neues blinkt am Horizont ... Deutschland: Kahn - Lahm, Metzelder, Nowotny, Jansen - Schneider, Kehl, Frings, Schweinsteiger (79. Hitzlsperger) - Podolski (71. Hanke), Klose (65. Neuville). Portugal: Ricardo - Ferreira, Meira, Costa, Valente (69. Gomez) - Costinha (46. Petit), Maniche, Simao Sabrosa, Ronaldo, Deco - Pauleta (77. Figo). Tore: 1:0 Schweinsteiger (56.), 2:0 Petit (61./Eigentor), 3:0 Schweinsteiger (78.), 3:1 Gomez (88.). Schiedsrichter: Kamikawa (Japan). Zuschauer: 52 000 (ausverkauft).
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