- Kommentare
- Der Krisenstab
Kein Rettungsschirm für Atomkonzerne
Sahra Wagenknecht über die von der Energieindustrie geplante Vergesellschaftung der Kosten für den AKW-Ausstieg
In der Finanzkrise lautete das gruselige Bankenrettungskonzept: Im Ernstfall wird der finanzielle Giftmüll uneinbringlicher Forderungen dem Steuerzahler untergejubelt. So wurden die Insolvenzen von Zockerbanken verhindert und deren Aktionäre und Gläubiger verschont, obwohl sie zuvor vom neoliberalen Spielcasinobetrieb an den Finanzmärkten profitierten. Diese erfolgreiche Dreistigkeit ruft Nachahmer auf den Plan. Auch die drei größten Atomkonzerne in Deutschland, RWE, E.on und EnBW machten nach der von Schwarz-Gelb verbrochenen Liberalisierung des Strommarktes im April 1998 lange erfolgreiche Beutezüge für ihre Aktionäre. Allein zwischen 2006 und 2010 »erwirtschafteten« die drei genannten Konzerne zusammen einen Überschuss von 50 Milliarden Euro und schütteten 25 Milliarden Euro an ihre Aktionäre in Form von Dividenden aus. Da das Vermögen und damit auch der Aktienbesitz sehr ungerecht verteilt sind, flossen diese Milliarden zum großen Teil in die Taschen der superreichen Oberschicht.
Diese riesigen Profite der AKW-Betreiber waren nur durch staatliche Subventionen möglich. Nach einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie wurde die Atomkraft mit gut 200 Milliarden Euro Staatsknete gefördert, zum Beispiel durch den staatlichen Betrieb maroder Atommülllager. In dieser Zahl sind viele versteckte Subventionen noch nicht einmal enthalten, wie die Kosten für die teuren Atomtransporte oder die fehlende Haftpflichtversicherung für einen Super-GAU. Während also einer Hartz-IV-Familie jeder Euro des Kindergeldes abgezogen wird, erhielten die dividendenausschüttenden Atomkonzerne staatliche Vergünstigungen in Milliardenhöhe. Bezahlt wurden diese Wohltaten für die Superreichen von der Allgemeinheit - auch von Niedrigverdienern und Hartz-IV-Empfängern - in Form von Mehrwert- und anderen Verbrauchssteuern.
Analog zur Pleite der Investmentbank Lehman Brothers war bei den Atomkonzernen spätestens mit dem Super-GAU im japanischen Fukushima im Jahr 2011 die Party vorbei. Acht Atomkraftwerke (AKW) wurden in Deutschland kurz danach stillgelegt. Für die anderen wurde das Abschalten im Jahr 2022 zur Gewissheit. Ab diesem Zeitpunkt werden sämtliche AKW durch Rückbau und Endlagerung nur noch Verluste liefern. Allein der Rückbau des AKW in Greifswald kostete bisher vier Milliarden Euro und dauert seit 19 Jahren an. Die Gesamtkosten für alle 17 AKW in Deutschland werden auf 50 Milliarden geschätzt.
Von der Finanzmafia lernen heißt zu wissen, wie man unkalkulierbare Risiken auf den Steuerzahler abwälzt. Das verstrahlte Angebot der drei Energiekonzerne sieht entsprechend aus: Sie wollen ihre AKW in eine öffentliche-rechtliche Stiftung übertragen. Ab da ist die öffentliche Hand für Abriss und Entsorgung der strahlenden Riesenkolosse verantwortlich. Dafür überträgt das Kernkraftwerks-Trio seine Rückstellungen in Höhe von gut 30 Milliarden Euro, die es in den vergangenen Jahren bereits für die Kosten des späteren Atomausstiegs gebildet und dabei seine Steuerschuld gesenkt hat, ebenfalls in die staatliche Bad Bank für Atomkraftwerke.
Das reicht aber noch nicht einmal für die heute geschätzten Gesamtkosten von 50 Milliarden für den jahrzehntelangen Rückbau der AKW, zumal die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass die realen Kosten am Ende deutlich höher sein werden. Die Atombosse bieten zudem mit großmütiger Geste an, dass sie im Falle einer solchen staatlichen Haftungsübernahme vielleicht darauf verzichten könnten, den Staat wegen des Atomausstiegs zu verklagen. Angeblicher Klagewert rund 15 Milliarden Euro. Es ist aber keine seriöse Kalkulation, bei einem Verhandlungsangebot davon auszugehen, dass die Energiekonzerne diesen gesamten Klagewert durchsetzen könnten.
Der billige Erpressungsversuch ist allerdings auch allein in Anbetracht der vorherigen Subventionierung der gigantischen Gewinne der drei Konzerne eine Unverschämtheit, das Angebot somit unannehmbar. Die zunächst ablehnende Äußerung von Bundeskanzlerin Merkel hatte nur eine kurze Halbwertszeit. Nach aktuellen Meldungen will Rot-Schwarz mit den Atomkonzernen verhandeln. Die Gefahr ist groß, dass die herrschende Politik erneut bereit ist, das Geld der Allgemeinheit an die Raubtierkapitalisten zu verschleudern, während eine gute Rente oder ordentliche Bildung selbstverständlich »unfinanzierbar« bleiben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.