Wenn Schlafmittel süchtig machen
Apotheker stellen Pilotprojekt gegen Medikamenten-Abhängigkeit vor
Rezeptpflichtige Schlafmittel gelten schon länger als Medikamente, die eine hohe Suchtgefahr mit sich bringen. Zwar gehen die Verordnungszahlen jährlich leicht zurück - bei Benzodiazepinen wurde 2011 insgesamt 152 Millionen Mal die definierte Tagesdosis verschrieben, 2012 noch 139 Millionen Mal. Doch gehen Ärzte und Apotheker davon aus, dass insbesondere ältere Patientinnen jahrelang Mittel dieser Substanzgruppe einnehmen, obwohl sie ihnen nicht mehr helfen. Auch wenn sie das jeweilige Medikament getreu der ärztlichen Verordnung und meist niedrig dosiert einnehmen, zählen diese Menschen zu den mehr als eine Million Bundesbürgern, die von Schlaf- und Beruhigungsmitteln abhängig sind.
In einem Modellprojekt konnte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände jetzt zeigen, dass ein ambulanter Entzug in vielen Fällen innerhalb von wenigen Wochen erfolgreich sein kann. In Kooperation mit 46 Apotheken und 63 Hausärzten konnte dabei insgesamt 102 Patienten - davon 71 Prozent Frauen - geholfen werden, ihren Schlafmittelkonsum zu reduzieren. 46 Prozent der Beteiligten kamen ganz ohne das jeweilige Medikament aus, 28 Prozent verringerten die Menge. Bei etwa einem Viertel wurde der Entzug entweder von den Betroffenen selbst oder von ihrem Arzt abgebrochen. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 70 Jahre, im Schnitt nahmen sie Benzodiazepine seit neun Jahren ein. Bei über der Hälfte dieser Menschen waren Schlafstörungen der ursprüngliche Einnahmegrund, an zweiter Stelle folgten Angst- und Panikgefühle. Der häufigste aktuelle Grund für die Verordnung lag wiederum bei den Schlafstörungen - allerdings war diese Gruppe um fast zehn Prozent gewachsen. Diesen Patienten hilft das Mittel also gar nicht mehr.
Projektleiter Ernst Pallenbach betonte, Benzodiazepine seien eigentlich »gute Arzneimittel«. Sie wirkten angstlösend, beruhigend und schlaffördernd, entspannen die Muskulatur und könnten auch Krämpfe lösen. Bei langfristiger Anwendung komme es jedoch zu Gewöhnung und Abhängigkeit. Hinzu kämen kognitive Störungen, die häufig mit dem Alter der Patienten begründet würden, die sich zusätzlich noch tagsüber schläfrig fühlten. Das Sturzrisiko steige. Weil diese Schlafmittel aber von Älteren nur langsam wieder abgebaut werden, steige ihr Wirkspiegel im Körper, sie seien eigentlich überdosiert. Zusätzlich könne es sogar zu einer Umkehr der Wirkung kommen - die Medikamente brächten die Symptome, gegen die sie eigentlich gerichtet waren, erst hervor.
So lässt sich auch erklären, dass 33 Prozent der Beteiligten keine Entzugszeichen zeigten und weitere 50 Prozent nur leichte. Die behandelnden Ärzte, die von Anfang an mit einbezogen waren und dem Entzug auch zustimmen mussten, brauchten in der vierten Woche nach Beginn der Maßnahme in den meisten Fällen nicht einzugreifen. Bei zehn Prozent wurden Medikamente ab diesem Zeitpunkt langsamer reduziert. Nach abschließendem ärztlichen Urteil traten bei 97 Prozent der Probanden keine Komplikationen auf.
Weil diese erste strukturierte Kooperation zwischen Ärzten und Apothekern im Bereich Medikamentenabhängigkeit so erfolgreich war, soll es von den Pharmazeuten ein Angebot an die gesetzlichen Krankenkassen geben. Eine Finanzierung vorausgesetzt, könnte die Entzugsmöglichkeit allen Versicherten zugänglich werden.
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